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Die lange Suche nach dem Thorium-Übergang

Die Geschichte eines jahrzehntelangen Rätsels: Wie viel Energie braucht man, um einen Thorium-Kern vom Zustand niedrigster Energie in den nächsthöheren Energiezustand zu bringen?

Mann am Lasertisch

© PTB

PTB-Forscher Johannes Tiedau am Lasertisch im Labor in Braunschweig

Auf den ersten Blick könnte man glauben, die Ausgangssituation sei doch ganz einfach: Ein Thorium-Kern kann sich in verschiedenen Zuständen befinden – im Grundzustand oder in einem metastabilen Zustand. Beide haben fast dieselbe Energie. Wenn man das Thorium mit einem Laserstrahl trifft, dessen Wellenlänge genau zum Energieunterschied zwischen diesen beiden Zuständen passt, dann bringt man den Thorium-Kern dazu, von einem Zustand in den anderen zu wechseln.

Das Problem dabei ist: Damit das funktioniert, muss man sehr exakt wissen, wie viel Energie dafür nötig ist. Nur wenn man genau ins Schwarze trifft, wird man einen Effekt sehen. Man muss mit einer Präzision im Bereich von Millionstel eines Elektronenvolts arbeiten, sonst hat der Laserstrahl einfach keine Wirkung.

Schwierig ist das auch deshalb, weil man nicht sofort bemerkt, ob man die richtige Energie getroffen hat. „Wenn man den Atomkern vom niedrigeren Zustand in den höheren Zustand anregt, dann bleibt er zunächst eine Weile in diesem höheren Zustand“, sagt Thorsten Schumm. „Der angeregte Zustand hat eine Lebensdauer von über zehn Minuten. Erst dann kehrt der Atomkern in den Grundzustand zurück und sendet dabei Licht aus, das man dann messen kann.“

Eine bestimmte Wellenlänge auf zuverlässige Weise zu testen, kann Stunden dauern. „Daher galt es lange Zeit als unmöglich, einfach alle denkbaren Energiewerte nacheinander durchzuprobieren“, sagt Thorsten Schumm. „Wenn man nicht weiß, wo man suchen muss, ist die Suche hoffnungslos.“ Die Frage ist also: Wie kann man den Energiebereich, der durchsucht werden muss, möglichst präzise einschränken?

Wolkenkratzer versus Bordsteinkante

Schon in den 1970er-Jahren untersuchte man Uran-Kerne, die sich durch radioaktiven Zerfall in Thorium-Kerne umwandeln. Aus der Strahlung dieses Zerfalls konnte man ablesen, dass Thorium-229 zwei energetisch extrem eng beisammen liegende Energiezustände haben dürfte – mit einer Energiedifferenz von weniger als 100 Elektronenvolt. Genaueres ließ sich damals noch nicht sagen.

In den 1990er-Jahren machte man sich daran, diese Energiedifferenz präziser zu vermessen. Man verwendet dafür einen speziellen Trick: Man versetzt die Thorium-Kerne in einen anderen Zustand mit viel höherer Energie als die beiden Zustände, die man eigentlich untersuchen möchte (im Bereich von vielen tausend Elektronenvolt). Der Thorium-Kern wird dann irgendwann in einen der beiden eng benachbarten Zustände niedriger Energie wechseln – in den Grundzustand oder den energetisch eng benachbarten metastabilen Zustand. Aus der Strahlung, die dabei entsteht, kann man indirekt auf den Abstand zwischen den beiden niedrigen Zuständen zurückrechnen.

Die Genauigkeit dieser Methode ist allerdings beschränkt. „Es ist ein bisschen, als würde man die Höhe einer Bordsteinkante vermessen, indem man zunächst viel höher geht und vom Dach eines Wolkenkratzers aus einen Ball auf die Straße fallen lässt“, sagt Thorsten Schumm. „Der Ball kann auf die Straße fallen, oder auch auf den Bordstein. Der Unterschied zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist winzig, verglichen mit der Höhe des Wolkenkratzers. Aber wenn man beide Abstände sehr genau misst, kann man damit im Prinzip etwas über die Bordsteinkante lernen.“

Ein Wettlauf um die höchste Präzision

Erste Ergebnisse mit dieser Methode lieferten extrem niedrige Werte für die Energie des gesuchten Thorium-Übergangs: 3,5 Elektronenvolt lautete eine frühe Vermutung, 2005 wurde dann ein Wert von 5,5 Elektronenvolt veröffentlicht – mit einer damals geschätzten Genauigkeit von einem Elektronenvolt.

Forschungsteams aus Europa, den USA und Japan lieferten sich ein Rennen um die besten Ergebnisse, der vermutete Wert verschob sich ein bisschen nach oben: 2009 wurde am Lawrence Livermore Lab (USA) ein Wert von 7,8 ± 0,5 Elektronenvolt gemessen, 2019 schließlich kam ein Team der LMU München mit Beteiligung von Thorsten Schumm auf 8,28 ± 0,17 Elektronenvolt, 2020 veröffentlichte Schumm mit Kollegen aus Heidelberg Daten, die auf 8,10 ± 0,17 Elektronenvolt hindeuteten.

Die Genauigkeit war im Lauf der Jahre also gestiegen, aber die Ergebnisse waren immer noch viel zu unpräzise, um darauf hoffen zu können, den Energieübergang mit einem Laser tatsächlich exakt zu treffen.

Ein unerlässlicher Schritt für die Verbesserung dieser Messungen war die Herstellung von Thorium-haltigen Kristallen – eine schwierige Aufgabe, die Thorsten Schumm mit seinem Team an der TU Wien löste. Auf diese Weise kann man gleichzeitig eine große Zahl von Thorium-Kernen untersuchen.

Erstmals Licht vom Übergang selbst

Solche Kristalle waren es dann auch, mit denen es im Jahr 2023 einer Kooperation aus LMU München und TU Wien erstmals gelang, den gesuchten Thorium-Übergang direkt zu messen: Man musste nicht mehr indirekt über einen anderen, viel höheren Energiezustand auf die Energie des Thorium-Übergangs schließen, sondern es gelang, die Strahlung direkt zu messen, die beim gesuchten Zustandswechsel entsteht. Damit war plötzlich eine viel höhere Präzision möglich: 8.338 ± 0,024 Elektronenvolt lautete das neue Ergebnis.

Damit bestand nun erstmals Hoffnung, den Zustand gezielt mit einem Laser anregen zu können. Schritt für Schritt tastete man den nun eng eingegrenzten Bereich ab – bis man schließlich Erfolg hatte und ein klares Signal erhielt – bei einer Energie von 8,355743 ± 0,000003 Elektronenvolt.

In fünf Jahrzehnten wurde aus „weniger als 100 Elektronenvolt“ somit eine Präzision im Mikroelektronenvolt-Bereich. Damit ist die Tür für ein neues Forschungsfeld mit vielen technischen Anwendungen endlich offen.

 

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Lange erhoffter Durchbruch: Erstmals Atomkern mit Laser angeregt, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster