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Buchpräsentation: Die Ökonomie des Alltagslebens

Privatwirtschaft und öffentlicher Bereich müssen einander ergänzen. Leonhard Plank von der TU Wien präsentiert das Buch „Die Ökonomie des Alltagslebens: Für eine neue Infrastrukturpolitik“.

Leonhard Plank und sein Buch

Leonhard Plank und sein Buch

Es ist doch ganz selbstverständlich: Wir wachen auf und schalten das Licht ein. Die öffentliche Infrastruktur sorgt dafür, dass uns Strom zur Verfügung steht. Unseren Frühstückskaffee kochen wir mit verlässlich angeliefertem Gas, bevor wir uns auf öffentlichen Straßen auf den Weg zur Arbeit machen.

Öffentlich bereitgestellte Leistungen spielen in unserem Leben eine zentrale Rolle – und das ist auch gut so, meint Dr. Leonhard Plank vom Institut für Raumplanung (Forschungsbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik), öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster an der TU Wien. Er hat gemeinsam mit europäischen Kolleg_innen ein Buch über die Ökonomie des Alltagslebens herausgebracht, das er am 10. Oktober öffentlich präsentiert.

Buchpräsentation „Die Ökonomie des Alltagslebens“
Donnerstag, 10. Oktober 2019, 17:00
Arbeiterkammer Wien, Plößlgasse 2, 6. Stock

Um Anmeldung wird unter ifip@tuwien.ac.at bis zum 08. Oktober gebeten.

Leonhard Plank im Interview

Herr Plank – öffentliche Infrastruktur wird häufig durch Steuern finanziert. Wenn wir uns also über unsere funktionierende Wasserversorgung freuen, müssen wir dann nicht eigentlich der Privatwirtschaft dankbar sein, durch die öffentliche Leistungen erst finanzierbar werden?

Plank: Natürlich werden öffentliche Leistungen zu einem wichtigen Teil öffentlich finanziert. Aber die Sichtweise, dass öffentliche Leistungen Überschüsse aufzehren, die von der privaten Wirtschaft generiert werden, ist irreführend. Man kann die Sache auch umgekehrt betrachten: Es sind ja gerade öffentliche Infrastrukturen, die die Privatwirtschaft tragen. Erst durch grundlegende öffentliche Leistungen hat der Privatsektor überhaupt die Chance, etwas Produktives zustande zu bringen.

Für den Steuerzahler ergibt sich eine ganz klare Trennlinie: Für öffentliche Leistungen muss der Staat zahlen, aus privaten Leistungen bezieht er Steuereinnahmen.

Plank: Nein, das ist eine viel zu verkürzte Sichtweise. Die Trennlinie könnte man durch Privatisierung und Verstaatlichung ja auch anders ziehen. Heute ist das Gesundheitssystem in vielen Ländern Europas staatlich und die Telefongesellschaften sind privat. Würden wir nun die Krankenhäuser privatisieren und die Handy-Anbieter verstaatlichen, dann würde plötzlich die Ärztin mit ihren Steuern die Gehälter der Callcenter in der staatlichen Telefongesellschaft finanzieren, und nicht umgekehrt. Ob sich dadurch für die Einzelperson, die Krankenhäuser und Handynetze in Anspruch nimmt, etwas geändert hätte, ist zunächst noch völlig unklar. Wir sollten uns „die Wirtschaft“ nicht bloß als vom Privatsektor betriebenes System zur Schaffung von Wohlstand vorstellen.

Wäre denn ein Wirtschaftssystem möglich, in dem alle Leistungen von privaten Anbietern erbracht werden?

Plank: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir sehen an vielen Beispielen, dass manche Bereiche am besten funktionieren, wenn sie nicht von der Privatwirtschaft, sondern gemeinschaftlich betrieben werden. Oft entsteht der entscheidende Nutzen einer Leistung ja genau dadurch, dass sie allen BügerI_innen zur Verfügung steht. Was wäre, wenn unsere Abwasserwirtschaft völlig privat wäre und sich arme Menschen keine Kanalgebühr leisten könnten? Sie müssten ihr Abwasser einfach auf die Straße leiten. Das wäre dann schlecht für alle – auch für den Spitzenverdiener, der sich problemlos eine erstklassige Abwasserversorgung leisten kann. Die Logik des Marktes hat Vorteile, aber eben nicht in jeder Situation.

Gerade wenn es um technologische Innovation geht, scheint die private Wirtschaft aber staatlichen Organisationen überlegen zu sein.

Plank: Ja, das trifft für viele Bereiche zu, wobei es auch hier einen vergessenen Zusammenhang von langfristiger staatlicher Anschubfinanzierung und den darauf ruhenden privaten Innovationen gibt. Die bekannte Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucatto hat die Bedeutung dieses „unternehmerischen Staats“ unter anderem am Beispiel von Apple aufgezeigt. Aber wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass es sich dabei um den alleine entscheidenden Bereich unserer Wirtschaft handelt. Auch in Zukunft wird das Arbeitsleben der großen Mehrheit von Tätigkeiten bestimmt sein, die nicht unbedingt dieser innovativen Hochtechnologiesparte zuzurechnen sind – sich um Kranke kümmern, Kinder unterrichten, handwerkliche Tätigkeiten ausüben. Eine Wirtschaft, die nur aus Leuten wie Elon Musk besteht, funktioniert nicht. Wir müssen immer im Auge behalten, dass ganz grundlegende Leistungen, die uns völlig selbstverständlich erscheinen, genauso systemrelevant sind, wie vom Markt herbeigesehnte Innovationen.

Und für das persönliche Wohlbefinden des Einzelnen sind diese grundlegenden Leistungen wohl sogar entscheidender?

Plank: Richtig. Und das bedeutet, dass öffentliche Leistungen eine riesengroße Bedeutung für soziale Gerechtigkeit haben. Dass bestimmte Dinge, von der öffentlichen Straße bis zur öffentlichen Schule, gratis für alle bereitgestellt werden, reduziert die soziale Ungleichheit. Hier werden große Werte erzeugt, die allen gleichermaßen zu Gute kommen. Darüber hinaus liegt hier auch ein Schlüssel zur Bekämpfung der Klimakrise, denn Infrastrukturen sind die Lebensadern unserer Gesellschaften und prägen unsere individuellen Lebensstile. Ihre Ausgestaltung ist somit zentral, um zukunftsfähige – also global verallgemeinerbare - Lebensstile zu ermöglichen - oder zu blockieren.

Staatliche Leistungen und Infrastruktur sind also so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Plank: Im Sinne einer Sicherung der Lebensgrundlagen – in diesem Fall durch Sachleistungen - ja. Und das wirkt, wie man etwa am Beispiel der Stadt Wien sieht: Wien ist in allen Rankings der Lebensqualität seit Jahren ganz vorne. Das ist kein Zufall. Es hat damit zu tun, dass in Wien schon lange sehr gemeinschaftsorientiert gedacht wird, dass wichtige Leistungen allen zur Verfügung gestellt werden. Da spielt auch die Raumplanung eine wichtige Rolle. Wenn eine Stadt gut geplant ist, wenn man dafür sorgt, dass die nötige Infrastruktur vorhanden ist, vom öffentlichen Verkehrsmittel bis zum Lebensmittel-Nahversorger, dann hilft das auch der Wirtschaft. Nur wo die Öffentlichkeit die passenden Bedingungen schafft, hat die Wirtschaft optimale Voraussetzungen, für Innovation und Wohlstand zu sorgen.