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Die Bedeutung des Wassers: gestern – heute – morgen

Rede zum 30-jährigen Bestandsjubiläum des Bundesamts für Wasserwirtschaft von Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Dr.h.c.mult. Günter Blöschl, Technische Universität Wien

Peter Strauss, Günter Blöschl, Monika Mörth

© Rene Hemerka

Im Jahr 2025 feiert das Bundesamt für Wasserwirtschaft sein 30-jähriges Bestehen, ein wunderbarer Anlass, um innezuhalten, zurückzublicken und zugleich den Blick nach vorn zu richten. Mein Thema heute lautet daher: „Die Bedeutung des Wassers: gestern – heute – morgen“. Kaum ein Titel könnte passender sein, denn das Wasser ist so etwas wie ein stiller Mitgestalter unserer Geschichte – und ein lautstarker Vorbote unserer Zukunft.
 

Oder etwas salopp gesagt: Wasser ist das absolute Multitalent unseres Planeten! Ohne Wasser? Keine Pflanzen, keine Tiere, keine Fische aber auch kein Schnitzel und kein Brot auf dem Teller – und definitiv keine kalte Dusche am Morgen. Wasser ist der heimliche Star unseres Alltags, auch wenn wir ihm meist erst dann Beachtung schenken, wenn es fehlt oder in Form von Überschwemmungen ein Haus flutet.
 

Gestern: Wasser als Geschenk der Natur


Früher – und das ist gar nicht so lange her – war Wasser einfach da. Es kam von den Bergen, sammelte sich in Quellen und floss durch Bäche und Flüsse. Die Menschen lebten mit dem Wasser, aber oft auch gegen das Wasser. Hochwasser war ein regelmäßiger ungebetener Gast. In vielen Regionen Österreichs hat man die Donau, die Mur oder den Inn eher gefürchtet als geschätzt. Die zahlreichen Hochwassermarkierungen in den Städten geben ein beredtes Bild davon ab.
 

Gleichzeitig war Wasser auch ein Wirtschaftsfaktor: Es trieb Mühlen an – über Jahrhunderte die wichtigste Quelle mechanischer Energie für das Handwerk, wie viele historische Hammermühlen zeigen. Wasser war unverzichtbar im Bergbau und füllte Fischteiche, die viele bäuerliche Betriebe und auch Klöster unterstützten. Durch gezielte Seeregulierungen schuf man fruchtbare Landwirtschaftsflächen und schützte Siedlungen vor Überflutungen. So verband Wasser wirtschaftlichen Nutzen und Schutz in unserer Landschaft über lange Zeit eng miteinander. Kurz: Wasser war Leben – aber auch Arbeit und Risiko.
 

Der Weg zur modernen Wasserwirtschaft in Österreich war ein langer – und ein oft schmerzhafter. Überschwemmungen forderten über Jahrhunderte unzählige Menschenleben, vernichteten Ernten und Siedlungen. Das große Donauhochwasser des Jahres 1830 war ein Wendepunkt. Es traf Wien schwer und führte zum Entschluss, den Fluss in den folgenden Jahrzehnten systematisch zu regulieren. In dieser Zeit entstanden auch die erste städtische Wasserversorgung und Kanalisation in Wien.
 

Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam Wasser eine neue Bedeutung: als Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs. Das Kraftwerk Kaprun wurde zum Symbol für Fortschritt und nationaler Selbstständigkeit. Im Zeitraum 1937 und 1959 stieg die Stromproduktion auf das Siebenfache, und der damalige Bundesminister für Handel und Wiederaufbau, Fritz Bock, hob in seinen Reden den steigenden Energieverbrauch in Österreich positiv hervor, als Indikator des Wirtschaftswachstums. Heute, in Zeiten des Energiesparens, klingt das etwas skurril, was zeigt, dass wir alle in unserer Zeit gefangen sind. Bei der Ernährungssicherheit war das Thema Wasser ebenso wichtig. Damals sprach man vom „zehnten Bundesland“ – gemeint waren all jene Flächen, die durch Entwässerung landwirtschaftlich nutzbar gemacht wurden.
 

In den 1980er bis 90er Jahren erlebte die Wasserwirtschaft in Österreich dann einen tiefgreifenden Wandel. Während in den frühen 70ern der Fokus stark auf Versorgungssicherheit, Hochwasserschutz und dem Ausbau der Wasserkraft lag, rückten in den 80ern zunehmend Umwelt- und Naturschutzaspekte in den Mittelpunkt. Gleichzeitig wurden hunderte Gemeinden an zentrale Wasser- und Abwassersysteme angeschlossen – der Anschlussgrad an die Kanalisation stieg von etwa 60 % auf über 90 %. Wassergenossenschaften wurden gegründet. Nach mehreren Hochwasserereignissen begann man systematisch Retentionsräume zu schaffen und Flussräume neu zu denken. Auch die Kulturtechnik entwickelte sich weiter – von der Entwässerung zur nachhaltigen Landbewirtschaftung. Der ökologische Zustand der Gewässer, die Durchgängigkeit für Fische und die Erhaltung natürlicher Auen gewannen zunehmend an Bedeutung. Es war eine Phase des Übergangs: von technikzentrierter Wasserwirtschaft zu einem integrativen, umweltbewussten Zugang.
 

Heute: Wasser im Spannungsfeld


Heute befindet sich die Wasserwirtschaft in einem dynamischen Spannungsfeld zwischen Klimawandel, Nutzungsansprüchen, Raumdruck und steigender gesellschaftlicher Sensibilität. Dabei ist Wasser nicht nur Ressource, sondern zugleich Lebensraum, Risikofaktor und Kulturgut. Menschen suchen das Wasser – am See, am Fluss, sogar in der Stadt. Wasserflächen kühlen unsere Umgebung, laden zum Verweilen ein und schenken uns Ruhe. Künstlerinnen und Künstler schöpfen Inspiration aus seiner Bewegung, seiner Tiefe, seiner Symbolik. Wer am Ufer eines Sees sitzt oder dem Murmeln eines Bachs lauscht, weiß, wie gut es tut, wenn auch die Seele einmal durchschnaufen darf.
 

Doch beginnen wir mit dem Klimawandel. Im österreichweiten Schnitt hat der Niederschlag in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Das klingt erstmal nach mehr Wasser, aber dem ist nicht so, denn auch die Verdunstung hat zugenommen, nämlich um sage und schreibe 17%. Die Wassermenge die wir in Österreich jedes Jahr zusätzlich an die Atmosphäre verlieren – unsichtbar, denn Wasserdampf ist transparent – entspricht ungefähr der Wassermenge, die auf der ganzen Welt getrunken wird, von allen 8 Milliarden Menschen. Ich wiederhole, es ist nicht nur die Verdunstung in Österreich die höher ist als der globale Trinkwasserverbrauch, sondern sogar die zusätzliche Verdunstung wegen Klimawandel. Noch erstaunlicher eigentlich. Warum? Weil es jetzt um etwa eineinhalb Grad wärmer ist. Weil sich der Niederschlag im Jahr anders verteilt. Und weil der Frühling heute fast drei Wochen früher beginnt. Die Vegetationszeit ist länger – und das treibt die Verdunstung zusätzlich an.
 

Diese Mehrverdunstung hat direkte Auswirkungen auf den Bodenwasserhaushalt und damit auf Landwirtschaft, Bewässerungsbedarf und Grundwasserneubildung. Tendenziell sind die Grundwasserstände in Österreich jetzt niedriger als vor Jahrzehnten. Gleichzeitig führen die Flüsse, besonders im Osten Österreichs, in den Sommermonaten weniger Wasser.
 

Anders sieht es bei den Hochwässern aus: Hier nehmen die Abflüsse tendenziell zu – allerdings nicht überall gleich stark. Eine Studie, die wir vor kurzem veröffentlich haben zeigt: Besonders kleine Einzugsgebiete sind betroffen. Dort können heftige, kurze Starkregen große Schäden verursachen und Muren und Rutschungen auslösen; und sogenannte Hangwasserabflüsse: das ist Wasser, das nach einem kräftigen Regenguss vom Hang oberflächlich abfließt, weil der Boden nichts mehr aufnehmen kann – sei es, weil er schon gesättigt ist, verdichtet oder versiegelt durch Asphalt. Die Wasserwirtschaft setzt verstärkt auf lokale Retentionsflächen, verbesserte Kanalisation und Frühwarnsysteme, um die Auswirkungen der Hochwasser zu begrenzen. Erosionsschutz auf landwirtschaftlichen Flächen ist ebenso eine enorm wichtige Maßnahme.
 

Erst gestern bin ich von einer Konferenz zum Thema Hochwasser aus Sizilien zurückgekommen, und da wurden die großen Hochwasser Europas in den letzten Jahren diskutiert; und wie es die einzelnen Länder geschafft haben damit umzugehen. In Deutschland und Spanien hat es tragischerweise hunderte Todesopfer gegeben. Österreich hingegen wurde international als Vorbild genannt. Trotz großer Sachschäden im September 2024, besonders in Niederösterreich, wurde Schlimmeres verhindert. Und obwohl man als Österreicher manchmal gerne jammert, kann man mit Stolz sagen: Da hat einiges gut funktioniert.
 

Klimawandel ist aber nur eine Seite der Medaille. Gleichzeitig wächst der Druck auf die Ressource Wasser. In der Landwirtschaft steigt der Bedarf an Bewässerung, etwa im Marchfeld. Siedlungsräume brauchen mehr Retentionsfläche für ihre Flüsse. Der Energiesektor setzt auf flexible Wasserkraft – auch im Tages- und Wochenspeicherbetrieb, etwa um die Schwankungen der Wind- und Solarenergie auszugleichen. Das beeinflusst wiederum Flussdynamik und Ökologie. Der steigende Verbrauch durch Datenzentren und Künstliche Intelligenz ist auch im Auge zu behalten. Kommunen fordern Sicherheit vor Überflutung, Bürgerinnen und Bürger erwarten saubere, naturnahe Gewässer zur Erholung. Und alle erwarten, dass das Wasser einfach da ist, wenn man es braucht.
 

Die Wasserwirtschaft steht damit zwischen vielfachen Anforderungen – oft gleichzeitig und manchmal im Widerspruch zueinander. Ihre Aufgabe heute ist es, intelligent zu balancieren: Nutzung ermöglichen, Schutz sichern, Kreisläufe verstehen – und dabei natürliche Resilienz, ökologische Qualität und die Schönheit der Gewässer nicht aus dem Blick zu verlieren.
 

Morgen: Wasser als Zukunftsaufgabe für Generationen


Wenn wir den Blick in die Zukunft richten, wird klar: Wasser bleibt eine der zentralen Herausforderungen und zugleich eine große Chance für Österreich – und zwar über Generationen hinweg. Die Komplexität der Aufgabe wächst, denn wir stehen vor einer Welt im Wandel: Klimawandel, Bevölkerungswachstum, verstärkte Siedlungsentwicklung und veränderte Nutzungsansprüche. All das verlangt von uns neue, durchdachte Antworten.
 

Unsere Verantwortung ist es, die Wasserressourcen so zu bewirtschaften, dass sie auch für unsere Kinder und Enkel in gleicher Qualität und Menge erhalten bleiben. Das bedeutet, heute Weichen zu stellen für eine nachhaltige, resiliente Wasserwirtschaft, die flexibel auf neue Herausforderungen reagieren kann.
 

Dabei wird es immer wichtiger, natürliche Prozesse wieder stärker zuzulassen und gezielt zu unterstützen. Auenrenaturierungen und naturnahe Flusslandschaften sind nicht nur schön anzusehen, sie sind auch ökologisch wertvoll – auch wenn sie in der Regel nur einen geringen Beitrag zum Hochwasserschutz leisten. Gleichzeitig müssen wir technische Lösungen und Innovationen weiter vorantreiben, die im Ernstfall auch funktionieren: Hochwasserschutz, der auch viel extremere Ereignisse als in der Vergangenheit im Auge hat. Landwirtschaftliche Maßnahmen, die Wirtschaftlichkeit mit Nachhaltigkeit verbinden, besonders auch im Erosionsschutz. Intelligente Wasserspeicherung, effiziente Bewässerungssysteme bis hin zu digitaler Vernetzung und Vorhersagesystemen. Auch bei der Fischzucht braucht es neue, schonende Ansätze – damit Wasserressourcen geschützt und unsere Gewässer gesund bleiben.
 

Kurz gesagt: Wasserwirtschaft ist längst keine rein technische Aufgabe mehr, sondern ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Dazu braucht es das Miteinander von Bund, Ländern, Gemeinden, Wissenschaft und Wirtschaft – und auch jede und jeden Einzelnen von uns. Bildung, Bewusstseinsbildung und echte Beteiligung sind dabei entscheidend. Nur so schaffen wir eine Kultur des verantwortungsvollen Umgangs mit dem Wasser.
 

Eine Schlüsselrolle kommt – wie angeklungen – der Wissenschaft zu, die mit Forschung, Beratung und Planung Strategien entwickelt, um Ökologie und Nutzung zu vereinen. An Universitäten erfolgt das wissenschaftliche Leben meist im Rahmen von 3-Jahres-Plänen. Das ist die Zeit, die ein PhD benötigt, um Daten zu sammeln und auszuwerten. Diese Datenreihen sind daher oft kurz und gehen zudem häufig verloren, wenn sie nicht archiviert werden. Dabei brauchen wir aber genau heute lange Datenreihen – die Folgen des Klimawandels schreien sozusagen gerade danach. Solche Datenreihen können nur von Institutionen bereitgestellt werden, die langfristiges Monitoring im Auftrag des Staates betreiben.
 

Hier ist das Bundesamt für Wasserwirtschaft – ebenso wie andere Bundesämter und Bundesanstalten im jeweiligen Bereich – natürlich eine hervorragende Institution. Beispielsweise dokumentieren langjährige limnologische Messreihen die Erwärmung österreichischer Seen und Teiche über Jahrzehnte, während im Bereich des Landschaftswasserhaushalts ebenfalls ein langfristiges Monitoring notwendig ist. Das Hydrologische Freilandlabor in Petzenkirchen zeigt, wie erfolgreich eine Verbindung zwischen der Grundlagenforschung der Universitäten und der angewandten Forschung des Bundesamts für Wasserwirtschaft funktionieren kann. Ich finde, dass solche Kooperationen den Forschungsstandort Österreich massiv aufwerten, und für die Zukunft der Wasserwirtschaft unverzichtbar sind.
 

Schlussgedanken
 

30 Jahre Bundesamt für Wasserwirtschaft – das sind 30 Jahre voller Einsatz, Fachwissen und Verantwortung. 30 Jahre, in denen engagierte Menschen dafür gesorgt haben, dass das Wasser in Österreich in guten Händen ist. Ihr Beitrag reicht weit über Technik und Verwaltung hinaus – sie sichern Lebensqualität, Resilienz und Zukunftsperspektiven für uns alle.
 

Doch Wasser ist kein Selbstläufer. Gestern war es ein Geschenk der Natur. Heute ist es eine anspruchsvolle Aufgabe. Und morgen wird es zu einer zentralen Prüfungsfrage – ökologisch, wirtschaftlich und politisch. Ob in der Landwirtschaft, in der Energieversorgung oder einfach in unserem Alltag: Wasser verbindet alle Lebensbereiche. Und genau deshalb braucht es kluge Strategien, mutige Entscheidungen und eine starkes Miteinander zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Gesellschaft.
 

Das Bundesamt für Wasserwirtschaft zeigt seit drei Jahrzehnten, wie solche Zusammenarbeit gelingen kann. Dafür gebührt allen Beteiligten großer Dank – und der Wunsch, diesen Weg mit derselben Überzeugung weiterzugehen. Denn eines ist sicher: Nur wenn wir das Wasser mit Respekt und Verantwortung behandeln, wird es auch in Zukunft das bleiben, was es für uns heute ist – unsere wichtigste Lebensquelle.

Vielen Dank.