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Mehr Europa in der Physik

Prof. Joachim Burgdörfer wird Editor-in-Chief des European Physical Journal D. In dieser neuen Funktion möchte er sich für mehr europäisches Selbstbewusstsein in der Wissenschaft einsetzen.

Joachim Burgdörfer in der Bibliothek

Joachim Burgdörfer

Europa ist in der Wissenschaft eine Weltmacht – oft ist man sich dessen aber gar nicht bewusst. Die European Physical Society (EPS), öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster hat rund 120.000 Mitglieder, mehr als doppelt so viele wie die American Physical Society (APS), öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster. Doch in vielen wichtigen Bereichen gibt die US-amerikanische Forschungslandschaft trotzdem den Ton an. So wird etwa die Publikationslandschaft der Physik-Fachjournale immer noch von den Magazinen der APS dominiert.

Prof. Joachim Burgdörfer plädiert daher für mehr europäische Zusammenarbeit. 2016 wurde er Dekan der Fakultät für Physik der TU Wien, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, diese Aufgabe hat er nun an Prof. Thorsten Schumm abgegeben. Dafür nimmt er nun eine neue Herausforderung an: Er wird Editor-in-Chief des European Physical Journal D, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster des Springer-Nature-Verlags. Gleichzeitig ist Burgdörfer auch Division Chair der European Physical Society. In diesen beiden Funktionen möchte er sich nun für mehr europäisches Denken in der Physik einsetzen.

Prof. Joachim Burgdörfer im Interview

Sie möchten die europäische Forschungslandschaft stärken – aber gibt es die überhaupt?

Burgdörfer: Immer noch wird oft in nationalen Kategorien gedacht. So besteht etwa die European Physical Society aus 42 nationalen physikalischen Gesellschaften, viele Leute wissen gar nicht, dass man auch direkt Mitglied bei der EPS sein kann, ohne Mitglied einer nationalen Teilorganisation zu sein. Aber natürlich gibt es eine europäische Forschungslandschaft – und die ist sehr erfolgreich. Wir sollten uns als Teil eines europäischen Kontinents fühlen, der eine führende Rolle in Technologie und Wissenschaft spielt. Und wir sollten Kommunikations-Plattformen haben, die diesen Führungsanspruch wiederspiegeln, was Qualität und Sichtbarkeit betrifft.

Sie haben selbst lange in den USA geforscht und kennen die amerikanische Forschungslandschaft. Worin besteht eigentlich das Problem an einer US-Dominanz bei wissenschaftlichen Journalen? Warum sollte man hier überhaupt ein Konkurrenzverhältnis sehen?

Burgdörfer: Um Konkurrenzdenken geht es gar nicht. Wir arbeiten ja gerne und mit großem Erfolg mit unseren Freunden in den USA zusammen. Es geht darum, dass Europa die Chancen nutzt, die es aufgrund seiner Größe hat. Ein Beispiel: Die jährlichen Fachkonferenzen der verschiedenen Fachgruppen der American Physical Society sind echte Anziehungspunkte für führende Physiker und Physikerinnen weltweit. Die European Physical Society hat derzeit nichts Vergleichbares anzubieten – und das ist natürlich ein Nachteil, gerade für Studierende oder junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die es sich oft nicht leisten können, für solche Konferenzen in die USA zu reisen. Und zu einer verbesserten Kommunikationsinfrastruktur gehört natürlich auch eine gemeinsame starke und unabhängige Publikationslandschaft.

Gibt es so etwas wie eine europäische Identität in der Wissenschaft?

Burgdörfer: Natürlich ist Wissenschaft zuallererst etwas Globales. Aber gleichzeitig gibt es etwa in der Physik bestimmte Forschungsgebiete, die in Europa mehr im Zentrum stehen als in den USA – und umgekehrt. Im Moment wird Europa vielfach in erster Linie als Geldquelle wahrgenommen, wir profitieren von Forschungsförderungen der EU. Aber die Frage soll nicht nur sein: Wo kriegen wir unser Geld her? Sondern auch: Wie stärken wir den europäischen Wissenschaftsraum im globalen Wettbewerb? Und dazu gehört auch: Wo und wie kommunizieren und publizieren wir unsere Ergebnisse?

Text: Florian Aigner