Wien, 12. September 2025 – Junge Talente wollen heute seltener klassische Führungspositionen übernehmen. Doch bedeutet das ein Ende für die Chefetage, wie wir sie kennen? Roland Deiser, Management-Experte mit internationaler Erfahrung, erklärt im Gespräch mit der TU Wien Akademie, warum Unternehmen jetzt umdenken müssen – und wie neue Organisationsformen Führung wieder attraktiv machen können.
Starre Hierarchien schrecken ab
Viele Menschen schrecken vor starren Hierarchien zurück. Stattdessen suchen sie Freiraum, Sinn und Gestaltungsmöglichkeiten. „Die etablierten Führungsmodelle wirken schwerfällig und wenig verlockend“, sagt Deiser. Er beobachtet, dass junge Fachkräfte lieber in Start-ups gehen oder den Weg in die Selbstständigkeit wählen. Klassische Machtpositionen verlieren an Strahlkraft – es sei denn, Organisationen schaffen Strukturen, die mehr unternehmerisches Handeln zulassen.
Ein Beispiel: Der chinesische Konzern Haier* setzt auf über 4.000 Mikroorganisationen, die wie kleine Start-ups im Unternehmen agieren. „Das eröffnet Tausende Führungsrollen ohne die lähmende Konzernpolitik“, so Deiser. Für ihn ist klar: Führung der Zukunft bedeutet weniger „Command & Control“ und mehr Kontextgestaltung, die Mitarbeitende befähigt.
Mit welchen Schwierigkeiten hat man als CEO zu kämpfen?
In großen Konzernen bestimmen interne Machtspiele oft den Alltag, während Kundennähe verloren geht. Kraft und Energie wird dann dafür benötigt, diese Spiele mitzumachen und überhaupt CEO zu bleiben. Weiters werden fähige Expertinnen und Experten, die innerhalb der Organisation aufgestiegen sind, zu unglücklichen Führungskräften, weil sie ihre eigentlichen Stärken nicht mehr einsetzen können.
Mit dem Vormarsch von künstlicher Intelligenz verändert sich die Arbeitswelt zusätzlich. Deiser sieht Unternehmen künftig in hybriden Teams aus Mensch und Maschine agieren. Hier werden emotionale, soziale und politische Intelligenz zu zentralen Ressourcen – Eigenschaften, die Maschinen nicht ersetzen können. Gleichzeitig betont er: Es reicht nicht, nur einzelne Führungskräfte weiterzubilden. „Selbst die besten Köpfe bleiben wirkungslos in einer schlecht aufgestellten Organisation“, warnt er. Deshalb müssen Organisationen als Ganzes lernen, Strukturen und Prozesse so zu gestalten, dass Führung überhaupt wirksam werden kann.
Trotz aller Umbrüche blickt Deiser optimistisch nach vorne: „Wir erleben massive Verwerfungen, aber genau darin liegt auch die Chance. Führung muss neu definiert werden – nicht als Position, sondern als Fähigkeit, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen und Technologien gemeinsam wachsen können.“
Über Roland Deiser:
Roland Deiser ist Gründer und Executive Chairman des Center for the Future of Organization (CFFO) an der Drucker School of Management in Kalifornien, wo er ein globales Netzwerk von Experten und Top-Executives leitet, die an Lösungen für die komplexen Transformationsherausforderungen ihrer Organisationen arbeiten. Er ist Autor mehrerer Bücher sowie zahlreicher Fachbeiträge zu Strategie und Organisationsdesign und gilt als Vordenker für Ecosystem Leadership im digitalen Zeitalter. Außerdem gibt er das internationale Fachmagazin Developing Leaders Quarterly heraus, das sich mit aktuellen Themen rund um Führung, Transformation und Zukunft der Arbeit beschäftigt.
Am 6. Oktober 2025 wird der Senior Fellow am Future Leadership Forum in Wien, teilnehmende Führungskräfte begleiten und beraten. Sein Thema lautet: „Leadership in Ecosystems – Vernetzt führen über Systemgrenzen hinweg.“
*Haier, gegründet 1984, ist ein chinesischer Multikonzern und Haushaltsgerätehersteller mit Hauptsitz in Qingdao. Das Unternehmen ist weltweit für seine unkonventionelle Organisationsstruktur bekannt: Mehr als 150.000 Mitarbeitende arbeiten in über 4.000 Mikroorganisationen, die weitgehend eigenständig agieren. Haier setzt stark auf Smart-Home-Lösungen, künstliche Intelligenz (KI) und vernetzte Ökosysteme.