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Was macht das "Wiener Beugerl" im TU-Archiv?

Gerade jetzt findet sich vielleicht die Zeit, eines der "privilegierten" Backrezepte aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auszuprobieren.

Fotomontage mit dem Originalprivileg und Beugerl auf einem Tisch

Im Archiv der TU Wien wird unter anderem die Sammlung von etwa 5.800 Erfindungsprivilegien aus der Zeit zwischen 1800 und 1852 aufbewahrt. Die Privilegien hatten im 19. Jahrhundert etwa die gleiche Bedeutung wie Erfindungspatente in der heutigen Zeit. Sie sicherten dem/der Inhaber_in für einen bestimmten Zeitraum das alleinige Recht, den erfundenen Gegenstand zu produzieren bzw. zu vertreiben und schützte auch vor Nachahmung durch andere.

Heute verbinden wir in erster Linie technische Innovationen wie die Schiffsschraube von Joseph Ressel (1826), das speziell geformte Bugholz der Gebrüder Thonet (1842) oder die Lithographie von Alois Senefelder (1801) mit diesen Privilegien. Die Bandbreite reicht aber quer durch alle Handwerkssparten der ehemaligen Habsburgermonarchie, von der Erfindung spezieller Webstühle über Musikinstrumente bis hin zu Lebensmitteln.

Kuchengebäck von Franz Thaler und Christoph Heigler

Und so befinden sich auch einige Rezepte in dieser Sammlung. Der Bäcker Franz Thaler und der ehemalige Wirt Christoph Heigler hatten im Jahr 1827 ein Privileg für ihr Rezept über "verbesserte Mohn- und Kuchengebäcke" erhalten. Die wesentliche Neuheit bestand vorrangig in der "Ersparrung der Hälfte Germ" – auch das ist in Zeiten wie diesen nicht unwichtig – sowie einer allgemeinen Verringerung von Herstellungskosten und Arbeitsaufwand. Das Rezept war für den Bäckereibetrieb gedacht, es handelte sich daher nicht um ein spezielles Gebäck sondern lediglich um die genaue Zusammensetzung eines Basisteiges. Ebenso waren die Mengenangaben in entsprechender Größe angelegt.

"Die verbesserten Mohn- und Kuchengebäcke"

Zuerst musste man drei Maß Wasser mit einem halben Pfund Weizenkleie aufkochen, die Weizekleie absieben und drei Maß Milch hinzugeben, sodass die Mischung lauwarm wurde. Weiters wurden acht Pfund Weizenmehl, vier Loth Zucker und ein halbes Loth gestoßener Anis gut vermischt, dann das Milchwasser hinzugegeben und in einem "von eichenen Holz gemachten Kübel, womit ein Sprudler mit vier Blättern von eichenen Holz angebracht ist, welches von einem Rad getrieben wird" eine Viertelstunde lang gerührt. Unter Zugabe von einem halben Seitel Germ rührte man nochmals eine Viertelstunde, um es danach drei Stunden ruhen zu lassen.

Zum Abschluss fügte man noch eine Mischung von einem Maß Milch, zehn Loth Salz, "welches ann einer Lymoni abgerieben wird" und sechs Pfund Weizenmehl hinzu, "welches dann nach Belieben ein feines geschmackvolles Mohn oder auch Kuchengebäck gibt." Über die Backdauer und die Form des Gebäcks hüllten sich Thaler und Heigler in Schweigen – dies blieb offenbar dem Ausführenden überlassen, waren also keine Informationen, die es wert schienen, sich patentieren zu lassen bzw. zählten zum Allgemeinwissen.

Wer dieses Rezept ausprobieren möchte, muss sich zunächst eines Maßumrechners, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster bedienen; zu beachten ist hierbei allerdings, dass es sich bei direkter Umrechnung um enorme Mengen handelt, die sicher für einige größere Familien reichen dürften. Aber nicht nur wegen der Mengenangaben ist dieses Rezept wohl eher für erfahrene Bäcker_innen geeignet – auch was Form und Backdauer betrifft, ist wohl für den Privathaushalt einiges an Improvisationskunst gefragt.

"Wiener Beugerl" von Franziska Leeb

Franziska Leeb erhielt ihr Privileg ein Jahr nach Thaler und Heigler – auch hierbei handelt es sich nicht um eine Neuerfindung sondern um die Verbesserung eines allgemein geläufigen Rezepts. Das Süßgebäck mit dem neuen Namen "Wiener Beigel" sollte sich "durch eine neue Art der Zubereitung des Teiges und der Fülle" wesentlich vom damals bekannten "Preßburger Beigel" unterscheiden. In ihrer Privilegienbeschreibung ging sie daher direkt auf bestimmte Details ein – immer unter der Voraussetzung, dass die Zubereitung der "Preßburger" bekannt war, daher fehlten auch sämtliche Mengenangaben.

Das Rezept im Detail

Für den Teig sollte nur feinstes Weizenmehl verwendet werden, dieses mit Milch, Rinderschmalz und etwas Germ verrührt "und so fein abgeschlagen daß der Teig allein schon das beste mürbe Gebäck gibt." Für die Füllung wurde reiner Mohn fein zerrieben, danach mit Honig, Zimt, Gewürznelken und Zitronenschalen vermengt und eine Stunde lang verkocht. Statt Mohn konnten auch Nüsse oder Mandeln verwendet werden. Eine weitere Variante war die Füllung mit Reis, dieser musste jedoch vor der Verarbeitung mit Milch und etwas Zimt gekocht werden. Wird bei heutigen Rezepten oftmals als Süßungsmittel Honig statt Zucker empfohlen, war es damals genau umgekehrt: Da dieser "vielen Menschen nicht zuträglich ist, so hat die Unterfertigte sich bemüht, […] Honig mit Zucker zu ersetzen, welcher aber auf einer eigenen Art gekocht werden muß." Zucker musste zunächst in Wasser aufgelöst und mit den übrigen Zutaten für die Füllung eine gute Stunde verkocht werden.

Neben der Bekömmlichkeit bot die neue Rezeptur noch einen weiteren Vorteil: "Haben diese Beigeln vermöge ihrer verbesserten Zubereitung die Eigenschaft, daß sie mehr als 8 Tage sich in schmackhaftesten Zustande erhalten, und daher alle anderen ähnlichen Gebäcke, welche schon den 3ten Tag altgebacken und nicht mehr genießbar sind, weit übertreffen." Um dem Gebäck noch eine besondere Note zu verleihen, "wird ein jedes Beigel mit einem eigens dazu gemachten Stempel ein Zeichen erhalten", mit den Worten „Wiener Patent Beigel“.

Im Gegensatz zu Franz Thaler war Franziska Leeb nicht vom Fach, sondern "bürgerl. Instrumentenmachers Ehegattin", möglicherweise ein Mitglied der aus Bratislava (Preßburg) stammenden Geigenmacherfamilie Leeb. Ob sie mit ihrem "Wiener Beigel" Erfolg hatte, ist nicht belegt. 1833 hat sie ihr Privileg jedenfalls nach zweimaliger Verlängerung an den Bäcker Anton Schnall abgetreten. Heute gibt es vielerorts bei Bäckereien Nuss- oder Mohnbeugerl zu kaufen – ob es sich jedoch hierbei um das privilegierte Rezept des "Wiener Beigels" handelt, lässt sich wohl nur durch Selber-Backen erfahren.