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TU Wien: Bei Higgs-Messungen massiv mit dabei

Nun wurden die ersten Ergebnisse der Higgs-Messungen am CERN publiziert: Die TU Wien gehört zu den Forschungseinrichtungen, die maßgeblich an der Entdeckung des neuen Teilchens beteiligt waren.

Ein 2012 mit dem CMS Detektor aufgezeichnetes Ereignis bei einer Proton‐Proton‐Schwerpunktsenergie von 8 TeV. Das Ereignis zeigt Charakteristika, die man vom Zerfall eines Standardmodell‐Higgs‐Bosons in ein Paar von Z‐Bosonen erwartet, von denen ein Z weiter zerfällt in ein Paar von Elektronen (grüne Linien und grüne Balken) und das andere in ein Paar von Myonen (rote Linien).

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Ein 2012 mit dem CMS Detektor aufgezeichnetes Ereignis bei einer Proton‐Proton‐Schwerpunktsenergie von 8 TeV. Das Ereignis zeigt Cha

Ein 2012 mit dem CMS Detektor aufgezeichnetes Ereignis bei einer Proton‐Proton‐Schwerpunktsenergie von 8 TeV. Das Ereignis zeigt Charakteristika, die man vom Zerfall eines Standardmodell‐Higgs‐Bosons in ein Paar von Z‐Bosonen erwartet, von denen ein Z weiter zerfällt in ein Paar von Elektronen (grüne Linien und grüne Balken) und das andere in ein Paar von Myonen (rote Linien).

Claudia‐Elisabeth Wulz (2.v.l.) mit Studierenden in der CMS‐Kaverne

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Claudia‐Elisabeth Wulz (2.v.l.) mit Studierenden in der CMS‐Kaverne

Claudia‐Elisabeth Wulz (2.v.l.) mit Studierenden in der CMS‐Kaverne

Es war wohl die Wissenschafts-Nachricht des Jahres: Am 4. Juli wurde in einer Pressekonferenz am CERN bekanntgegeben, dass ein neues Teilchen entdeckt wurde: Vermutlich handelt es sich dabei um das langgesuchte Higgs-Boson. Nun wurden die ersten Ergebnisse der beiden Experimente ATLAS und CMS publiziert. Unter den Autoren des CMS-Papers sind auch fünf WissenschaftlerInnen der TU Wien.

Ohne Higgs keine Masse

Das dem Higgs-Boson zugeordnete Feld ist verantwortlich dafür, dass Teilchen Masse erhalten. Es gibt dem Universum somit Substanz. Ohne das Higgs-Feld gäbe es nur Strahlung, alle Teilchen würden sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, es gäbe also weder Menschen noch Sterne oder Galaxien.

Teilchen zerfallen in Teilchen
Analysiert wurden Daten des Large Hadron Collider (LHC) bei Energien von 7 und 8 TeV – derart hohe Energien hatte vorher noch kein Teilchenbeschleuniger erreicht. Die Zusammenstöße von Protonen, die fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, löst eine komplizierte Kaskade von teilchenphysikalischen Prozessen aus: Nach dem Standardmodell der Teilchenphysik kann das Higgs-Teilchen in verschiedene bereits bekannte Teilchen zerfallen. Zur Zeit sind die am besten zugänglichen Zerfallskanäle jene in zwei Photonen oder in zwei Z-Bosonen, die ihrerseits in je zwei Elektron- oder Myonpaare zerfallen. Experimentell schwerer nachweisbare Zerfälle in zwei W-Bosonen, zwei Tau-Leptonen oder zwei Beauty-Quarks sind ebenfalls möglich.

Das kann doch wohl kein Zufall sein!
Auch wenn es kein Higgs-Teilchen gäbe, würden solche Zerfallsprozesse ständig zufällig auftreten. Das Higgs-Boson führt aber dazu, dass diese Prozesse in einem bestimmten Energiebereich häufiger zu beobachten sind, als sich durch bloßes Hintergrundrauschen erklären lässt. Genau dieser Überschuss im Vergleich zu einem Untergrund, den man auch ohne Higgs erwarten würde, wurde gemessen.

In vier von fünf betrachteten Zerfallskanälen wurden Überschüsse im Vergleich zum erwarteten Untergrund beobachtet. Die statistische Signifikanz dieses Überschusses bei Kombination aller fünf Kanäle beträgt 5 Standardabweichungen – das gilt in der Teilchenphysik als die Grenze, ab der man von einer echten „Entdeckung“ sprechen kann.

Diese zwei Kanäle erlauben auch eine Bestimmung der Masse des Higgs-Bosons: etwa 125 GeV. Die beobachteten Zerfallsraten stimmen innerhalb der Messfehler mit den Erwartungen für ein Higgs-Boson, wie es vom Standardmodell vorausgesagt wird, überein. Erst weitere Messungen werden zeigen, ob das neue Teilchen tatsächlich alle vorhergesagten Eigenschaften besitzt. Theoretisch wäre es auch möglich, dass es eines von mehreren Higgs-artigen Teilchen ist, was auf völlig neue Physik hindeuten würde.

Institut für Hochenergiephysik und TU Wien von Anfang an mit dabei
Österreich ist mit dem Wiener Institut für Hochenergiephysik der Akademie der Wissenschaften seit der Gründung von CMS an diesem Experiment beteiligt. Christian Fabjan ist Direktor des Instituts und gleichzeitig Professor für Teilchenphysik an der TU Wien. Mehrere Institutsmitarbeiter sind ebenfalls TU-Dozenten, die Vorlesungen, Praktika und Projektarbeiten anbieten. Claudia-Elisabeth Wulz vertritt das österreichische CMS-Team am CERN und ist Mitglied des Publication Committee, das alle Veröffentlichungen des Experiments vorbereitet und approbiert. Zahlreiche Studierende der TU Wien leisteten und leisten wichtige Beiträge, sowohl für die Datenanalyse als auch für technische Bereiche wie den Spurendetektor und das Triggersystem.

Das Boson im Heuhaufen finden
Das Triggersystem ist dazu da, um aus dem unübersehbar riesigen „Heuhaufen“ aller Kollisionen jene Ereignisse herauszufiltern, die wirklich interessant sind. Es ist sozusagen das Herz des Experiments. Die entscheidenden Elemente für die erste Triggerstufe wurden vom Institut für Hochenergiephysik entwickelt und produziert. Insgesamt hat dieses Triggersystem an die 1015 (10 Billiarden) Kollisionen bearbeitet. Jede der ca. 500 Kollisionen, in denen ein Higgs-Teilchenkandidat nachgewiesen wurde, ist von diesem System zur weiteren genaueren Analyse ausgewählt worden. Ohne die einwandfreie Funktion des Triggers während des ganzen Jahres würden keine Higgs-Ereignisse für die Analyse zur Verfügung stehen.

Manfred Jeitler ist technischer Leiter des Triggersystems und somit verantwortlich für den laufenden Betrieb. Die präzise Messung von Flugrichtung, Impuls und Zerfallszeit von geladenen Teilchen erfolgt im Spurendetektor. Das Institut für Hochenergiephysik war maßgeblich an der Entwicklung und Konstruktion dieses weltweit größten Silizium-Spurendetektors und der Entwicklung von Algorithmen zur optimalen Messung dieser Parameter beteiligt und trägt weiterhin zum Betrieb dieses Kernstücks von CMS bei.

Manfred Krammer hat beim Bau von Silizium-Detektormodulen und der Sicherstellung der Qualität der Silizium-Sensoren wichtige Beiträge geleistet, genauso wie zahlreiche Studierende, DiplomandInnen und DissertantInnen der TU. Der Mathematiker Rudolf Frühwirth arbeitet auf den Gebieten der statistischen Datenanalyse und der Entwicklung von Analyse-Algorithmen.


<link http: arxiv.org abs>Auf arxiv ist nun eine Version des Papers verfügbar