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Smart Factories

Europäisches Forschungsprojekt stellt den Menschen in den Mittelpunkt der Produktion von morgen

TeilnehmerInnen des Kick off-Meetings in Graz

TeilnehmerInnen des Kick off-Meetings in Graz

TeilnehmerInnen des Kick off-Meetings in Graz

Das große europäische Forschungsprojekt "FACTS4WORKERS" zum Thema Industrie 4.0 mit einem Projektvolumen von 7,9 Millionen Euro, 15 europäischen Forschungspartnern und vier Jahren Dauer rückt den Menschen ins Zentrum moderner Produktionen. Der Forschungsbereich Maschinenbauinformatik und Virtuelle Produktentwicklung (MIVP) der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften ist Partner im Projekt und bringt seine Expertise im Bereich der Implementierung von sogenannten Smart Factory Lösungen ein. Das Konsortium unter der Führung des österreichischen VIRTUAL VEHICLE Research Center in Graz will Möglichkeiten aufzeigen, wie vor allem Arbeitsplätze in der Fabrik der Zukunft attraktiv und intelligent gestaltet werden können und darüber hinaus Europa als Produktions-Standort gestärkt werden kann. Denn mehr Ausbildung und mehr Investitionen in Fabriken sollen in Europa neue und bessere Jobs bringen.
Professor Detlef Gerhard ist wissenschaftlicher Leiter des Projekts, das im Dezember 2014 begonnen hat.

Produktionen wandern zunehmend aus europäischen Hochlohnländern in sogenannte Best-Cost-Länder ab oder an Standorte mit niedrigeren Energiekosten. Um diesem Trend entgegen zu wirken, ist die europäische Industrie gefordert, intelligente Wertschöpfungskonzepte im Produktionsbereich zu entwickeln. Die EU-Kommission will "die schrumpfende Rolle der Industrie umkehren" und die "Attraktivität Europas als Produktionsstandort wiederherstellen", so der zuständige Kommissar Antonio Tajani. Mit mehr Investitionen in Fabriken und Forschung und Entwicklung sollte der Anteil der Industrie an der europäischen Wirtschaftsleistung bis 2020 auf 20 Prozent angehoben werden. Derzeit liegt dieser Wert bei rund 15 Prozent.

Ambitionierte Forschungsziele
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sollen ein neues industrielles Zeitalter einläuten, das durch die sogenannte "Smart Factory" gekennzeichnet ist. Die ArbeiterInnen werden als sogenannte "Smart Worker" bestmöglich durch Informations- und Kommunikationstechnologie unterstützt, um flexibel, effizient und zuverlässig produzieren zu können. Dadurch werden lokale Wettbewerbsvorteile genutzt und (mittel)europäische Produktionsstandorte langfristig gesichert.

Smart Factory
In der Smart Factory, der Produktionsstätte der Zukunft, steht der Mensch als flexibelstes Element der Produktionsabläufe im Zentrum der Aufmerksamkeit. Er wird hier als Produktions-WissensarbeiterIn gedacht, d.h. beim Bedienen von Maschinen wird er durch optimierte Informations- und Kommunikationstechnologie, durch eine selbstlernende Arbeitsumgebung und durch in-situ-Lernen unterstützt.

Die angestrebte Digitalisierung wird nicht nur einzelne Fabriken, sondern die gesamten Wertschöpfungsnetzwerke betreffen. Dies kann durch so genannte "cyber-physische Systeme" erreicht werden. Darunter versteht man Netzwerke aus informations- und softwaretechnischen Komponenten sowie mechanischen und elektronischen Teilen, die über das Internet oder andere Kommunikationsnetzwerke miteinander in Verbindung stehen.

Schlüsselfaktor Mensch
Neben dem technischen Zugang führt diese Änderung der Arbeitsplatzsituation auch zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Rolle des Menschen als Schlüsselfaktor im Produktionsprozess. In diesem Zusammenhang spricht man von Wissensarbeit. Wissensarbeit hat nichts mehr mit den herkömmlichen automatisierten Routinetätigkeiten der Fabrikarbeit zu tun. Sie ist durch eine völlig neuartige, komplexe und autonome Arbeitsumgebung gekennzeichnet. Smart Worker entwickeln zudem selbst neue Möglichkeiten zur kontinuierlichen Verbesserung von Wissensaustausch an ihrem Arbeitsplatz.

"Es gilt zu hinterfragen, wie Menschen arbeiten und lernen, wie sie mit neuen Technologien interagieren und wie sie an einem attraktiven und fordernden Produktionsarbeitsplatz einen Mehrwert für die Industrie erzeugen können", verdeutlicht Martin Wifling, der Projektleiter von FACTS4WORKERS am VIRTUAL VEHICLE Research Center in Graz. Die Antworten auf diese Fragen sind der Schlüssel zu erfolgreichen und mensch-zentrierten Lösungen von Informations- und Kommunikationsstrategien in Produktionsprozessen. Durch das Eingehen auf die Situation des Menschen im Produktionsablauf kann eine Erhöhung der Zufriedenheit und Motivation von ProduktionsmitarbeiterInnen erreicht werden, welche insgesamt eine Steigerung der Produktivität um bis zu 10 Prozent bewirken kann. Der Haupt-Fokus des Forschungsvorhabens liegt jedoch vorwiegend darin, "den Arbeitsplatz in der Produktion in Europa deutlich attraktiver zu gestalten, damit mehr Menschen sich gezielt für dieses fordernde und sich verändernde Berufsfeld entscheiden", so Wifling.

Auf folgenden Anwendungsfällen liegt das Hauptaugenmerk von FACTS4WORKERS:

Assistierter Maschinenbediener:
Durch die Individualisierung von Produkten schrumpfen die Losgrößen. Gleichzeitig steigt die Anzahl hoch spezieller und rasch wechselnder Informationen aus unterschiedlichen Quellen. Die manuelle menschliche Tätigkeit ist jedoch weiterhin notwendig. Hier setzen innovative Interaktionsmechanismen ein, wie z.B. Datenbrillen, die Produktionsinformationen im Sichtfeld des Maschinenbedieners während der Arbeit einblenden. Die nach wie vor gängigen Checklisten, Arbeitsbeschreibungen, Anleitungen und Aufträge, die aus digitalen MES- und ERP-Systemen auf Papier ausgedruckt werden, werden nach und nach verschwinden.

Menschzentriertes Wissensmanagement:
Den Smart Workern werden notwendige Informationen zum richtigen Zeitpunkt bereitgestellt, um eine Verbesserung der Produktionsabläufe zu erzielen. Außerdem wird dadurch auch eine Kultur etabliert, in der Wissen freiwillig und pro aktiv geteilt wird. Hilfsmittel am Arbeitsplatz sollen intuitive Interaktionsmechanismen aufweisen und sprach-, touch- oder gestengesteuert sein, statt sich auf Texteingabe zu stützen. Erfahrungswissen kann z.B. durch grafische Animationen oder Videos besser vermittelt werden als in schriftlicher Form.

Selbstlernende Arbeitsplätze:
Maschinen, Werkzeuge und andere Infrastrukturen gelten in Smart Factories als intelligente Dinge. Werden ihre Daten effektiv miteinander verknüpft, können auch kleine Losgrößen effizient produziert werden. Bereits jetzt entstehen in der Produktion mehr Daten als jemals zuvor. Diese gilt es intelligent zu vernetzen. So können Wartung, Ersatzteilbestellung, Rüsten von Maschinen u.v.m. vorausschauend unterstützt werden.

In-situ-Lernen in der Produktion:
Beim in-situ-Lernen steht der Smart Worker als Lernender im Fokus. Mobile, personalisierte und situationsadaptive Lernsysteme unterstützen lebenslanges Lernen und die generationsübergreifende Weitergabe von Know-how, insbesondere im Kontext des demographischen Wandels. Durch kontextbasiertes Lernen, Fabrikationslabor-Konzepte (FabLabs) oder Simulation in Virtual Reality Umgebungen werden neue Produktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auf das Wissensniveau von Smart Workern gebracht. Datenbrillen und Wearables liefern geeignete Ein- und Ausgabemöglichkeiten für viele Anwendungsfälle.

Mit der schrittweisen Realisierung von Smart Factories werden Produktionsstätten neu gedacht und Produktionsarbeit erfährt einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wertewandel. Produktionsstandorte können somit nicht nur technologisch und wirtschaftlich, sondern auch auf der sozialen Ebene stabilisiert werden.