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Quantensysteme: gleich, aber anders

Wenn Quantenteilchen durcheinanderwirbeln, halten sie sich trotzdem an universelle Gesetze. Was für ein Quantensystem gilt, gilt auch für andere – das zeigen zwei verschiedene Experimente an der TU Wien und der Universität Heidelberg.

Der Atomchip in einer Vakuumkammer

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Der Atomchip in einer Vakuumkammer

Die Ausgangsbedingungen mögen völlig unterschiedlich sein – aber beim Übergang in einen Gleichgewichtszustand verhalten sich ganz verschiedene Systeme gleich.

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Die Ausgangsbedingungen mögen völlig unterschiedlich sein – aber beim Übergang in einen Gleichgewichtszustand verhalten sich ganz verschiedene Systeme gleich.

Der Atomchip der TU Wien

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Der Atomchip der TU Wien

Manche Dinge sind so kompliziert, dass es völlig unmöglich ist, sie exakt zu berechnen. Dazu gehören große Quantensysteme, die aus vielen Teilchen bestehen – insbesondere dann, wenn sie sich nicht in einem Gleichgewichtszustand befinden, sondern sich rasch verändern. Das trifft zum Beispiel auf das wilde Teilcheninferno zu, das in Teilchenbeschleunigern bei der Kollision großer Atome entsteht, oder auch auf das frühe Universum, kurz nach dem Urknall, das sich rasch ausdehnte und dabei abkühlte.

An der TU Wien und der Universität Heidelberg konnte man nun zeigen, dass sich im scheinbaren Chaos solcher Ungleichgewichtsprozesse doch bemerkenswerte Regeln entdecken lassen. Das weist darauf hin, dass man solche Vorgänge in universelle Klassen einteilen kann. Systeme, die zur selben Klasse gehören, verhalten sich in vielerlei Hinsicht völlig gleich. Das bedeutet, dass man Experimente mit experimentell leichter handhabbaren Quantensystemen durchführen kann, um exakte Information über andere Systeme zu erhalten, die im Experiment nicht direkt studiert werden können. Diese Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature“ publiziert.

Universelle Regeln

„Universalitätsklassen kennt man aus anderen Bereichen der Physik“, sagt Prof. Jörg Schmiedmayer vom Atominstitut der TU Wien. „Wenn man Phasenübergänge studiert, zum Beispiel Materialien ganz knapp am Schmelzpunkt, dann kann man bestimmte Eigenschaften mit Formeln beschreiben, die sehr universell sind. Zum Beispiel den Zusammenhang zwischen der spezifischen Wärme mit der Temperatur.“ Für solche Zusammenhänge spielen die mikroskopischen Details des Schmelzvorgangs keine Rolle. Sehr unterschiedliche Materialien können denselben einfachen Gleichungen gehorchen.

„Höchst erstaunlich ist allerdings, dass man eine solche Universalität auch bei Quantensystemen findet, die von einem Gleichgewichtszustand weit entfernt sind“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Das würde man auf den ersten Blick nicht erwarten: Warum soll sich ein Quantensystem aus vielen Teilchen, das sich gerade rasend schnell verändert, an irgendwelche universellen Gesetze halten? Trotzdem sagten theoretische Arbeiten aus den Gruppen von Jürgen Berges und Thomas Gasenzer von der Universität Heidelberg genau das voraus. Diese bemerkenswerten Vorhersagen wurden nun zur gleichen Zeit gleich doppelt nachgewiesen – an der TU Wien und in Heidelberg. 

Die schnelle und die langsame Richtung

Das Experiment in der Gruppe von Prof. Schmiedmayer am Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ), Atominstitut, der TU Wien verwendet dafür eine ganz besondere Atom-Falle: Auf einem speziellen Atomchip können tausende Rubidium-Atome mit elektromagnetischen Feldern gefangen und abgekühlt werden. „Dabei erzeugen wir eine Atom-Wolke mit einer kurzen und einer langen Richtung – ähnlich wie eine Zigarre“, erklärt Sebastian Erne, der Erstautor der Studie. 

Zunächst bewegen sich die Atome in beiden Richtungen mit gleicher Geschwindigkeit. Man kann allerdings die Atomfalle in der kurzen (transversalen) Richtung so öffnen, sodass jene Atome davonfliegen, die sich besonders schnell in diese Richtung bewegen. Somit bleiben nur noch Atome übrig, die transversal eine relativ geringe Geschwindigkeit aufweisen. 

„Die Geschwindigkeitsverteilung entlang der einen Richtung wird so rasch verändert, dass sich in dieser Zeit die Geschwindigkeitsverteilung in der anderen Richtung – entlang der längeren Achse der Zigarre – praktisch nicht verändert“, sagt Sebastian Erne. „Dadurch erzeugen wir einen Zustand fernab des thermischen Gleichgewichts.“ Durch Stöße und Wechselwirkungen kommt es dann zum Austausch von Energie zwischen den Atomen, man spricht von „Thermalisierung“. 

„Unser Experiment zeigt, dass der Verlauf dieser Thermalisierung einem ganz universellen Gesetz folgt und nicht von irgendwelchen Details abhängt“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Egal, wie wir die Thermalisierung starten: Der Übergang lässt sich immer mit derselben Formel beschreiben.“

Ähnlich ging das Forschungsteam aus Heidelberg vor: Auch dort begann man mit einer in die Länge gezogenen Atomwolke in einem instabilen Anfangszustand. Allerdings untersuchte man nicht die Geschwindigkeit, sondern den Spin (den Eigendrehimpuls) der Teilchen. Zunächst wurden die Spins der Atome zur Anregung gebracht, und man beobachtete dann, wie sich deren Ausrichtung durch Wechselwirkungen zwischen den Atomen mit der Zeit veränderte. 

Diese zeitliche Veränderung lässt sich anhand derselben Formeln beschreiben wie die aus dem anderen Experiment: „Die physikalische Situation ist in unserem Fall ganz anders als beim Wiener Experiment, die Dynamik gehorcht aber ebenso universellen Skalierungsgesetzen“, erklärt Maximilian Prüfer (Heidelberg), Erstautor der Heidelberger Publikation. „Wir haben einen Prozess gefunden, der denselben universellen Regeln gehorcht, aber zu einer anderen Universalitätsklasse gehört. Das ist sehr erfreulich, weil es die Theorien noch überzeugender bestätigt und nahelegt, dass wir einem fundamentalen  Gesetz auf der Spur sind”, betont Markus Oberthaler (ebenfalls Heidelberg). 

Von einem System über andere lernen

Diese Universalität bedeutet, dass man nun eine neue Methode zur Verfügung hat, wichtige Informationen über normalerweise im Labor nicht unzugängliche Quantensysteme zu erhalten. „Niemand kann den Urknall im Labor nachbauen. Aber wenn wir wissen, zu welcher Universalitätsklasse er gehört, können wir uns andere Quantensysteme derselben Klasse ansehen, und so indirekt untersuchen, was beim Urknall passiert ist“, erklärt Schmiedmayer. „Das Verhalten von Vielteilchen-Quantensystemen weit entfernt vom Gleichgewicht besser zu verstehen, gilt heute als eine der drängendsten Fragen in der Physik. Selbst mit den besten Supercomputern hat man keine Chance, diese Vorgänge exakt zu berechnen, daher sind unsere Universalitätsklassen eine wichtige Möglichkeit, Neues zu lernen.“

Originalpublikation der Wiener Gruppe: "Universal dynamics in an isolated one-dimensional Bose gas far from equilibrium", Erne et al., Nature (2018).

 

Rückfragehinweise:
Prof. Jörg Schmiedmayer
Atominstitut, Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ)
Technische Universität Wien
Stadionallee 2, 1020 Wien
T: +43-1-58801-141801 
hannes-joerg.schmiedmayer@tuwien.ac.at 

Aussender:
Dr. Florian Aigner
Technische Universität Wien
PR und Marketing
Resselgasse 3, 1040 Wien
T: +43-1-58801-41027
florian.aigner@tuwien.ac.at