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Nachruf auf Prof. Wolfgang Oberndorfer

Würdigung des Lebens und Wirkens von o.Univ.-Prof. i.R. Dipl.-Ing. Dr.techn. Wolfgang Oberndorfer, MS

Porträt von Wolfgang Oberndorfer mit Trauerrand

Der Tod von Wolfgang Oberndorfer am 1. Mai 2023 hat alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Baubetrieb und Bauwirtschaft schwer getroffen, er war eine dauerhafte und tragende Säule von Forschung und Lehre im heutigen Forschungsbereich „Bauwirtschaft und Baumanagement“ - mit ihm ist der Doyen der österreichischen Bauwirtschaft leider für immer von uns gegangen.

Er wollte nie im Mittelpunkt stehen, bodenständige Bescheidenheit und wissenschaftliche Redlichkeit waren sein Markenzeichen. Eine Würdigung seines Lebens und Wirkens wäre ihm zeitlebens höchst unangenehm gewesen - im Gedenken an seine außerordentliche Persönlichkeit und seine beständige Schaffenskraft soll an dieser Stelle an die wesentlichen Stationen seines beruflichen und privaten Lebens erinnert werden.

Am 28. Februar 1941 wurde Wolfgang Oberndorfer in Steyr/OÖ als ältester Sohn des Bauingenieurs Dipl.-Ing. Karl Oberndorfer und seiner Frau Anneliese geboren. 1959 inskribierte er das Studium des Bauingenieurwesens an der Technischen Hochschule Wien, Studienzweig konstruktiver Ingenieurbau. 1964 schloss Wolfgang Oberndorfer das Bauingenieurstudium nach weniger als 10. Semestern in Rekordzeit ab.

Im gleichen Jahr inskribierte er ein postgraduales Studium an der University of California in Berkeley, Division of Structural Engineering and Structural Mechanics und nahm auch die Tätigkeit als Lehr- und Forschungsassistent auf. Bereits im Juni 1965 schloss er seinen kalifornischen akademischen Abstecher mit der Graduierung zum Master of Science mit einer Masterarbeit über „Die zeitabhängige Veränderlichkeit der mitwirkenden Plattenbreite von Verbundträgern“ ab.

Das eigentliche Berufsleben begann für ihn im Oktober 1965 mit dem Eintritt in die VOEST/Stahlbau in Linz als Statiker. Im März 1966 wechselte er zur Firma Mayreder, Kraus & Co und wurde dort Abschnittsbauleiter für die Spannbetonarbeiten an der Donaubrücke Grein. Durch seinen Einsatz auf der Baustelle konnte er ein bleibendes Verständnis für die Belange und Probleme der Baustellen vor Ort gewinnen.

Berufung zum Bauleiter verspürte Wolfgang Oberndorfer allerdings wenig, bereits im Dezember 1966 promovierte er zum Doktor der technischen Wissenschaften an der Technischen Hochschule Wien mit einer Dissertation über „Zylindrische Sandwichschalen mit viskoelastischem Füllmaterial unter Mitwirkung von Temperaturgradienten“. Die nächsten 3 Jahre war Wolfgang Oberndorfer bis Anfang 1970 als Statiker bei Mayreder tätig, durch die enge Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. Metz entwickelte sich eine dauerhafte Freundschaft.

Diese erste Phase als Statiker wandelte sich in den nächsten Jahren zusehends zur zweiten Phase des konstruktiv-orientierten EDV-Spezialisten. Er begann 1968 bei Mayreder ein Rechenzentrum aufzubauen und entwickelte ein voll integriertes Programm für die Dimensionierung von Spannbetonbrücken auf Lochkartenbasis. Der erste praktische Einsatz erfolgte 1970 bis 1972 erfolgreich beim Bau der Donaubrücke Melk. Er erwarb darüber hinaus 1970 die Befugnis eines Zivilingenieurs und wurde 1971 zum gerichtlich zertifizierten und beeideten Sachverständigen für das Bauwesen bestellt.

Im Jahr 1969 heiratete Wolfgang Oberndorfer seine Partnerin Christine Mittendorfer. Aus dieser Ehe entsprangen drei Kinder, Birgit, Christian und Georg. Seine Familie schätzte er über alles. Immer wieder nahm er in späteren Jahren seine Kinder auf Wanderungen mit, um ihnen die Schönheit der Bergwelt zu vermitteln und sie den Atem der Natur spüren zu lassen.

Die Bergeinsamkeit, die Selbstüberwindung genauso wie die Schönheit der kaum berührten Bergwelt waren ihm Herausforderung und Befriedigung zugleich. Er bezwang mehrmals die berühmte und anstrengende Höhenschitour „Haute Route“ im Mont Blanc Gebiet, er war ein leidenschaftlicher Radrennfahrer und Teilnehmer von Bergläufen – ein „zäher Ausdauersportler“ durch und durch.

Wolfgang Oberndorfer feilte – parallel zu seinen Bemühungen um ein erfülltes Familienleben und seinen sportlichen Aktivitäten - laufend an seiner wissenschaftlichen Karriere und habilitierte sich im Juni 1975 mit der Habilitationsschrift „EDV-Informationssysteme in der Bauindustrie“ zum Dozenten mit der venia legendi für „Informationssysteme in der Bauwirtschaft“ an der Technischen Hochschule Wien. Damit startete Wolfgang Oberndorfer in seine dritte Berufsphase – der wandlungsfähige Akademiker wurde Leiter der Abteilung Betriebsorganisation in der Baufirma STUAG und legte damit den Grundstein für seine wissenschaftliche Karriere als Bauwirtschaftler.

Auf Grund seiner Erfahrungen in der Planung von Ingenieurbauwerken und in der EDV-Organisation wurde er schließlich mit 1. März 1981 als ordentlicher Universitätsprofessor für Bauwirtschaft und Planungstechnik zum Nachfolger von Prof. Walter Jurecka an das Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft der Technischen Universität Wien berufen. Wolfgang Oberndorfer zeichnete sich am Institut durch wissenschaftliche Akribie, unbändige Wissbegierde und vorbildliche Selbstdisziplin aus und begründete damit eine beeindruckende Ära in Forschung und Lehre.

Mehr als 165 wissenschaftliche Veröffentlichungen von Büchern und Fachartikeln in deutscher und englischer Sprache legen ein beredtes Zeugnis über sein Wirken am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft ab. Darüber hinaus hielt Wolfgang Oberndorfer während seiner Professur rund 50 nationale und international hochkarätige Vorträge, setzte sich in ausgewählten Seminaren für sein Fachgebiet der Bauwirtschaft und Planungstechnik ein und initiierte zahlreiche bauwirtschaftliche Forschungsprojekte. Abgerundet wurde sein wissenschaftlicher Einsatz durch die Mitwirkung in zahlreichen Ausschüssen, Berufsverbänden und Gremien.

Als Professor war Wolfgang Oberndorfer ein vehementer Verfechter davon, dass die jungen Assistentinnen und Assistenten nach ihrem erfolgreichen Abschluss in seinem Forschungsbereich in die Realität der praktischen Umsetzung des Wissens zu gehen haben. Wissenschaftliche Karrieren am Institut lehnte er strikt ab, weil er ein glühender Vertreter der Verbindung von Wissenschaft und Praxis war.

Seine wissenschaftlichen Arbeiten waren von großer Objektivität geprägt. Seine Betrachtungen waren nie einseitig und immer praxisorientiert – eine ausgewogene Aufarbeitung von Sachverhalten und eine daraus akribisch abgeleitete gutachterliche Stellungnahme waren ihm ein dauerhaftes Anliegen. Wolfgang Oberndorfer war zeit seines Lebens ein von allen Seiten hoch angesehener bauwirtschaftlicher Experte, seine Gutachten waren in der Branche weitgehend unangreifbar.

Wenn Wolfgang Oberndorfer seine Expertise von Fall zu Fall eingebracht hat, war eine hohe Qualität bei der Beurteilung von Sachverhalten sichergestellt – unabhängig von den Intentionen seines Auftraggebers. Er war ein zäher, objektiver und unbeirrbarer Bauwirtschaftler im wahrsten Sinne des Wortes. Die bauwirtschaftliche Szene wurde und wird durch seine Schaffenskraft maßgeblich beeinflusst und mitgestaltet.

Seine Studentinnen und Studenten, seine Assistentinnen und Assistenten sowie seine Kolleginnen und Kollegen prägte er durch seinen vorbildhaften Einsatz für die Bauwirtschaft maßgeblich und legte damit den Grundstein für zahlreiche erfolgreiche berufliche Karrieren. Wolfgang Oberndorfer war stets offen für Fragen und stand seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.

Er war ein Lehrmeister der Sonderklasse mit einem sehr feinen Gespür für unterschiedliche Menschen – sein Bemühen galt dabei immer der Entwicklung von Individuen. Er war nicht beseelt von professoraler Weitergabe von dogmatischen Grundsätzen, er war zu keinem Zeitpunkt versucht seine Meinungen und seine Überzeugung alleine auf Grund seiner Funktion durchzusetzen. Vielmehr ging es ihm immer um den kritischen Diskurs und die Auseinandersetzung mit widersprüchlichen Argumenten. Trotz seines brillanten Intellekts war er nie abgehoben, sondern war ein bodenständiger Mensch geblieben.

Bemerkenswert war neben der fachbezogenen Tätigkeit sein soziales Engagement. Er fühlte sich den Bedürftigen und Schwachen zugetan und widmete sich der Betreuung von obdachlosen Menschen in der sogenannten „Gruft“ unter der Mariahilfer Kirche in Wien. Dort verteilte er Geschenke, organisierte Theatervorführungen mit prominenten Künstlern und machte mit seinen „Gruftlern“ ausgedehnte Bergwanderungen. Darüber hinaus engagierte er sich im fernen Indien an einem Entwicklungshilfeprojekt einer Vorschule im Ort Puvi und widmete sich in Südamerika in der Nähe von Rio de Janeiro einem Straßenkindergarten.

Nach seinem freiwilligen und vorzeitigen Abgang vom Institut am 29. Februar 2004 war Wolfgang Oberndorfer in seinem „Ruhestand“ dennoch laufend dem Institut verbunden geblieben und hatte sich vorwiegend seiner Gutachtertätigkeit in der Bauwirtschaft gewidmet. Seinen wissenschaftlichen Grundsätzen war er dabei laufend treu geblieben, Objektivität war sein persönlicher Anspruch und sein ständiger Antrieb und Leitstrahl. Parallel dazu hatte sich Wolfgang Oberndorfer nach seinem Abschied vom Institut als Autor mit religiösen Themen beschäftigt. Auch hier ging es ihm darum, die katholische Lehrmeinung und die tatsächliche Lebensrealität in Einklang zu bringen – die Verbindung seiner technischen Ausbildung und seiner religiösen Überzeugung war ihm hier ein solides Fundament in der Argumentation.

Die Verbindung von Wissenschaft und Praxis war für Wolfgang Oberndorfer ein stetes Lebens- und Lehrziel. Die wirtschaftliche und mit großem Vertragsrechtsverständnis begleitete Abwicklung von Bauprojekten war sein bauwirtschaftliches Credo – damit hat er Generationen von Bauingenieurinnen und Bauingenieuren geprägt und so wird er uns viele Jahre in dankbarer Erinnerung bleiben.

„Wenn ihr an mich denkt, seid nicht traurig. Erzählt von mir und denkt an unsere gemeinsame Zeit. Lasst mir einen Platz zwischen Euch, so wie ich ihn im Leben hatte.“

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Gerald Goger
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Andreas Kropik