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ERC-Synergy Grant: Wodurch ermüdet Beton?

Prof. Bernhard Pichler (TU Wien) konnte gemeinsam mit Kollegen von der RWTH Aachen und der TU Brünn einen ERC Synergy Grant einwerben. Es wird dabei um Beton gehen – von atomarer Skala bis hin zu großen Bauwerken.

Portraitfoto im Grünen

Bernhard Pichler leitet den Teil des Großprojekts, der an der TU Wien stattfindet.

Mehrere Kubikkilometer Beton werden jedes Jahr weltweit verbaut, die Herstellung von Zement ist für rund 8% der anthropogenen CO2-Emissionen verantwortlich. Das soll sich ändern. Daher forscht man weltweit an neuen Beton-Rezepturen, die mit weniger Zement auskommen. Künftige Betonsorten werden sich in ihrer Zusammensetzung auf atomarer Skala von heutigem Beton unterscheiden.

Daraus möchte man große Bauwerke errichten können, die häufig wiederkehrenden Belastungen standhalten – von der Eisenbahnbrücke bis zur Windkraftanlage. Somit steht man vor einer hochkomplexen wissenschaftlichen Frage: Wie lässt sich die atomare Skala mit der Skala großer Gebäude in Verbindung bringen? Welche Zwischenschritte sind dabei nötig? Wie kann man das Wissen aus der Nano- und Mikro-Welt nutzen, um Resultate zu erzielen, die in der Bauwirtschaft ganz konkret umsetzbar sind?

Solche Fragen sollen nun in einem neugestarteten ERC Synergy Grant beantwortet werden. Synergy Grants sind hochdotierte Forschungsprojekte, finanziert vom European Research Council ERC, an denen mehrere Forschungsgruppen gemeinsam arbeiten. Einer der Principal Investigators des neuen Großprojekts ist Prof. Bernhard Pichler vom Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen an der TU Wien. Neben seiner Forschungsgruppe sind auch zwei Forschungsteams der RWTH Aachen sowie ein Team der TU Brünn beteiligt. Sie werden von den Professoren Miroslav Vořechovský, Thomas Matschei und Rostislav Chudoba geleitet.

Materialermüdung als Hauptgefahr

„Damit Zement umweltfreundlicher wird, mischt man passende Ersatzmaterialien bei“, sagt Bernhard Pichler. „Der Zementanteil im Zementsack soll geringer werden. Doch Ersatzmaterialien durch die ganze Welt zu transportieren hat wenig Sinn. Man wird in Zukunft verwenden, was in entsprechender Menge und Qualität lokal verfügbar ist – von gemahlenem Gestein bis zu wärmebehandelten Tonen. Wir werden es also mit ganz unterschiedlichen Zement-Sorten zu tun haben, mit großer chemischer Diversität.“

Aber nicht nur die Zusammensetzung von Zement und Beton ändert sich, sondern auch die Materialanforderungen, die in der Bauwirtschaft gestellt werden. Eine wichtige Kennzahl bei Beton ist seine Druckfestigkeit: Wie stark kann man ein Stück Beton einmalig belasten, bis er bricht? Doch gerade bei Betonkonstruktionen wie Eisenbahnbrücken oder Windkraft-Türmen ist das nicht unbedingt die entscheidende Größe. Dort kommt es nicht einmalig zu extremen Druckbelastungen. Stattdessen hat man es mit Schwingungen zu tun, mit wiederkehrenden Belastungszyklen, die zu Materialermüdung führen – bis die Konstruktion dann irgendwann so geschädigt ist, dass sie nicht mehr einsatzbereit ist.

Besonders bedeutsam wird das, wenn man Ressourcen sparen und möglichst leichte Baukonstruktionen errichten will. Bei geringerem Eigengewicht ist die statische Belastung des Materials kein großes Problem, im Vergleich dazu spielen dann aber die zeitlich variablen Lasten eine immer wichtigere Rolle. „Dadurch wird Ermüdung in Zukunft oft zum zentralen Bemessungskriterium werden“, glaubt Bernhard Pichler.

Ermüdung verstehen – bis zur Nanostruktur

Die Ursachen für Ermüdungserscheinungen sind bis heute nicht ausreichend verstanden, daher basieren auch die geltenden gesetzlichen Normen hauptsächlich auf Erfahrungswissen. Das ist für die Verwendung neuer Zement-Mischungen ein Problem – schließlich möchte man sie sofort einsetzen, ohne zuerst jahrzehntelang experimentieren und beobachten zu müssen.

„Wir sind überzeugt, dass die Ursachen und Mechanismen der Ermüdung von Beton auf der Nanostruktur des Materials zu finden sind“, sagt Bernhard Pichler. „Somit benötigt es eine Brücke von der Materialwissenschaft der kleinesten Skalen von zementgebundenen Baumaterialien bis hin zur Ermüdungswissenschaft von großen Stahlbetontragwerken.“

Diese Brücke kann nur über mehrere Zwischenschritte entstehen: Die Tragfestigkeit einer Betonkonstruktion hängt von der Betonmischung ab. Die Eigenschaften der Betonmischung vom Gestein und Zement, aus dem sie aufgebaut ist. Wie gut der Zement das Material zusammenhält, hängt von seiner Mikrostruktur ab: Er ist nicht homogen, sondern besteht aus winzigen kristallinen Strukturen, Poren und Rissen. Und die Eigenschaften dieser Mikrostruktur wiederum lassen sich nur verstehen, wenn man die Inhaltsstoffe auf atomarer Ebene analysiert.

Keine Forschungsgruppe der Welt kann all diese unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig untersuchen – und deswegen ist ein ERC Synergy Grant genau das richtige Förderinstrument für eine solche Frage, findet Bernhard Pichler: „Wir an der TU Wien sind auf die Vorhersage des Zusammenhangs zwischen der Mikrostruktur von zementgebundenen Baumaterialien und deren makroskopischen Materialeigenschaften spezialisiert. Unsere drei Projektpartner in Aachen und Brünn arbeiten auf Größenskalen darunter und darüber.“ Diese Sichtweisen sollen nun verknüpft werden. Auch die Methoden, die zum Einsatz kommen, sind vielfältig, Experimente sind genauso notwendig wie mathematische Modelle und Computersimulationen.

ERC Synergy Grants

Mit Synergy Grants fördert der Europäische Forschungsrat (ERC) Teams von zwei bis vier leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Damit werden Projekte unterstützt, die durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu „Fortschritten an den Grenzen des Wissens führen“. Die Fördersumme des neuen Projekts „Concrete matrices for high-cycle-fatigue resistant, eco-efficient infrastructure“ beträgt 10 Millionen Euro über einen Zeitraum von sechs Jahren, davon gehen 2,43 Millionen Euro an die TU Wien.

Bernhard Pichler

Bernhard Pichler studierte Bauingenieurwesen an der TU Wien, wo er 2003 mit Auszeichnung promovierte. 2006 und 2008 führten ihn zwei Forschungsaufenthalte an die École Nationale des Ponts et Chaussées in Frankreich. 2009 erlangte er an der TU Wien die Venia Docendi für das Fachgebiet „Festigkeitslehre und Baustatik“. Im Jahr 2010 wurde er zum Leiter des Labors für makroskopische Materialversuche am Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen ernannt. Ein Jahr später erhielt er eine Tenure-Track-Stelle zum Thema „Mechanik der zementgebundenen Werkstoffe“. Seit 2020 ist er Universitätsprofessor an der TU Wien.

 

Rückfragehinweis:

Prof. Bernhard Pichler
Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen
Technische Universität Wien
43 1 58801 20230
bernhard.pichler@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
PR und Marketing
Technische Universität Wien
+43 664 60588 4127
florian.aigner@tuwien.ac.at