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ERC Proof of Concept Grant: Spintronik soll marktreif werden

Kleinere Bauteile, die den Spin der Elektronen nutzen: Das Spintronik-Flipflop, eine Erfindung der TU Wien, wird mit einem ERC Grant gefördert. Nun werden Prototypen gebaut.

Portrait von Siegfried Silberherr

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Siegfried Silberherr

schematische Darstellung dreier gekoppelte Stapel

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Flipflop aus drei magnetisch harten antiferromagnetisch gekoppelten Stapeln. Zwei der Stapel (A und B) dienen zur Polarisierung der Eingangssignale, während der Stapel Q zum Auslesen dient.

Schematische Darstellung

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Die neuen Flipflops lassen sich extrem platzsparend zu einem Schieberegister verbinden.

Thomas Windbacher (links) und Siegfried Selberherr

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Thomas Windbacher (links) und Siegfried Selberherr

Lange wurde die Mikroelektronik immer weiter verbessert, indem man die Bauteile verkleinerte. Doch diese Zeit ist vorbei: Man stößt auf physikalische Grenzen. Für weiteren Fortschritt braucht man alternative Ideen, und eine besonders vielversprechende ist die Spintronik. Sie nutzt nicht nur die elektrische Ladung der Elektronen, sondern auch ihren Eigendrehimpuls, den Spin. Den Elektrotechnikern Prof. Siegfried Selberherr und Thomas Windbacher vom Institut für Mikroelektronik der TU Wien ist es gelungen, ein rein auf Spintronik basierendes Flipflop zu entwickeln – ein unverzichtbares Bauteil in der Elektronik. Nun können mit einem prestigeträchtigen ERC Proof of Concept Grant erste Prototypen hergestellt werden, um die bereits patentierte Idee kommerziell verwertbar zu machen. Bereits im Vorjahr wurde das Projekt vom European Research Council für die Förderung ausgewählt, nun sind alle Voraussetzungen erfüllt, und das Projekt kann starten.

Erst berechnen, dann bauen

Das Team von Siegfried Selberherr forscht seit Jahren mit großem Erfolg im Bereich der Spintronik – das beweisen zahlreiche Patente und ein ERC Advanced Grant, mit dem Selberherr 2010 ausgezeichnet wurde. Entwickelt werden Spintronik-Bauteile nicht im Labor, sondern am Computer: „Man braucht große, aufwändige Computersimulationen, um das Verhalten der Bauteile zu berechnen, zu verstehen und zu verbessern“, erklärt Selberherr. „Ausgehend von den fundamentalen Gesetzen der Quantenphysik untersuchen wir das Verhalten der Bauteile und können sie dadurch optimieren, schon bevor sie überhaupt produziert werden.“

Ein Problem der heutigen Elektronik ist, dass man Energie und Zeit benötigt, um die elektrischen Ladungen an die gewünschten Stellen zu transportieren, und dass man laufend Energie aufwenden muss, damit die Ladungen auch dort bleiben. Bis etwa beim Hochfahren eines Handys alle Ladungen wieder dort sitzen, wo sie vor dem Abschalten waren, vergeht einige Zeit. „Spintronik würde dieses Problem lösen“, sagt Thomas Windbacher. „Bei Energieverbrauch und Geschwindigkeit ist Spintronik überlegen. Das Problem liegt allerdings daran, dass sie die extreme Integrationsdichte der herkömmlichen Elektronik derzeit nicht erreicht.“

Spintronik wird endlich kompakter

Mikroelektronik kann heute extrem kompakt gebaut werden. In der Spintronik werden heute nur Hybridlösungen eingesetzt – kombiniert mit konventioneller Mikroelektronik. Dadurch benötigt man zusätzliche Signalkonverter, die zwischen der ladungsbasierten Elektronik und der spinbasierten Spintronik vermitteln. Das macht zusätzliche Bauelemente notwendig und vergrößert somit den Platzbedarf. Selberherrs Team an der TU Wien hat daher nun Bauteile entwickelt, die ausschließlich im Spintronik-Bereich funktionieren und keine Signalkonversion zwischen diesen beiden Welten mehr brauchen.

Dabei entstand ein rein spintronisches Flipflop – ein ganz grundlegend wichtiges Bauelement. Flipflops können zwischen zwei verschiedenen Zuständen hin und her geschaltet werden, sie sind elementare Ein-Bit-Speicher. „Unser Flipflop macht sich den Spin-Transfer-Drehmoment-Effekt und die magnetische Austauschwechselwirkung für die Operation zu Nutze und ermöglicht dadurch eine extrem kompakte Struktur“, erklärt Siegfried Selberherr. Das neue Flipflop benötigt weniger als ein Zehntel der Grundfläche der bislang bekannten Flipflops. Außerdem kann es zu einem Schieberegister gestapelt werden – einem bedeutsamen logischen Schaltwerk, das sich somit ebenfalls auf extrem geringer Fläche unterbringen lässt.

ERC Proof of Concept Grant Facts

Mit den Proof of Concept Grants hat der ERC eine Möglichkeit geschaffen, die kommerzielle Verwertung für die im Rahmen von ERC Grants entstandenen Ideen und Forschungsergebnisse gezielt zu fördern. Das Ziel eines PoC-Grants ist häufig die Erstellung eines Präsentations-Pakets, um Risikokapitalgeber, Unternehmen und / oder „social entrepreneurs“ davon zu überzeugen, in diese Technologie zu investieren und sie durch die frühe Vermarktungsphase zu führen.

Infobox: Details zum Flipflop
Das Flipflop besteht aus drei magnetisch harten antiferromagnetisch gekoppelten Stapeln.  Zwei der Stapel (A und B – siehe Graphik) dienen zur Polarisierung der Eingangssignale, während der Stapel Q zum Auslesen dient. Alle drei Stapel sind mittels nicht-magnetischer Lagen mit einer gemeinsamen magnetisch freien Lage verbunden.
Abhängig davon, ob an den Eingängen positive oder negative Spannung angelegt wird, werden Ströme mit unterschiedlicher Spin-Polarisation erzeugt. Diese Ströme fließen in die gemeinsame freie Lage und üben dort Drehmomente auf die lokale Magnetisierung aus. Diese Drehmomente können entweder versuchen, die magnetische Orientierung dieser gemeinsamen Lage zu kippen (bei gleicher Polarität bei beiden Eingangssignalen) oder zu dämpfen (entgegengesetzte Polarität). Dieses Verhalten entspricht exakt den für die für ein Flipflop benötigten Operationen: SET, RESET und HOLD.
Die neuen Flipflops lassen sich extrem platzsparend zu einem Schieberegister verbinden. Hierfür werden diese derart in zwei Reihen angeordnet, dass ein Flipflop an seinen Rändern mit jeweils zwei Nachbarn überlappt (siehe Graphik). Die grundsätzlichen Eigenschaften und die prinzipielle Machbarkeit des Flipflops und des Schieberegisters wurden bereits mittels umfangreicher mikromagnetischer Simulationen untersucht.

Kontakt

Prof. Siegfried Selberherr
Institut für Mikroelektronik
Technische Universität Wien
Gußhausstraße 25-29, 1040 Wien
Telefon: +43 1 58801 36010
E-Mail: siegfried.selberherr@tuwien.ac.at

Dr. Thomas Windbacher
Institut für Mikroelektronik
Technische Universität Wien
Gußhausstraße 25-29, 1040 Wien
Telefon: +43 1 58801 36018
E-Mail: thomas.windbacher@tuwien.ac.at

Aussender

Dr. Florian Aigner
Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Technische Universität Wien
Operngasse 11, 1040 Wien
Telefon: +43 1 58801 41027
E-Mail: florian.aigner@tuwien.ac.at