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Entropie: Auch Quantenuhren ticken nicht umsonst

Zeit lässt sich nicht beliebig genau messen. Ein Team von TU Wien und Österreichischer Akademie der Wissenschaften präsentiert eine mathematische Formulierung des Zeitmessens.

Künstlerische Kombination aus Uhr und Universum

© ÖAW

Zeitmessung

Welche physikalischen Gesetze bestimmen das Ticken einer Uhr?

Das Messen von Zeit ist eine komplizierte Sache. Theoretisch hat Zeit in der Physik keine bevorzugte Richtung, solange einfache Systeme isoliert betrachtet werden. Eine Videoaufnahme zweier kollidierender Billardkugeln lässt sich vorwärts oder rückwärts abspielen, ohne zusätzliche Hinweise lässt sich nicht sagen, welche Abspielrichtung die korrekte ist.

Der unerbittliche Marsch der Zeit in eine Richtung, den alle Lebewesen wahrnehmen, ergibt sich erst, wenn wir auch die Wechselwirkungen der isolierten Systeme mit ihrer Umgebung berücksichtigen. „Irreversibilität kommt mit Komplexität”, sagt Marcus Huber vom Wiener Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der TU Wien.

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass die Energiegefälle im Universum, die es erlauben, dass physikalische Arbeit verrichtet werden kann, sich mit der Zeit unaufhaltsam „ausmitteln“. Eine Kaffeetasse, die auf den Boden fällt, setzt sich nicht spontan wieder zusammen, denn die heile Tasse stellt, statistisch gesehen, eine sehr seltene Konstellation ihrer Atome dar. Dadurch, dass sie Teil des Universums und seiner schwindenden Menge an nutzbarer Energie sind, müssen alle Dinge einer zeitlichen Einbahnstraße folgen. Das gilt auch für Uhren, die auf den Gesetzen der Quantenmechanik basieren.

Uhren brauchen nicht nur Pendel

„Auch jedes Ticken einer Uhr ist irreversibel, weil es Energie braucht und damit die Entropie im Universum erhöht. Von der Standuhr bis zur Atomuhr braucht jede Vorrichtung zur Zeitmessung einen inneren periodischen Prozess und eine Interaktion mit einem irreversiblen Prozess, also der Außenwelt. Sonst kann die Zeit nicht abgelesen werden”, sagt Huber. Für eine Sonnenuhr ist der irreversible Prozess etwa das langsame Ausbrennen der Sonne und der periodische Prozess die Drehung der Erde um ihre eigene Achse. Gemeinsam mit Kollegen aus seiner Forschungsgruppe an der ÖAW hat Huber eine mathematische Formulierung entwickelt, die diese beiden Komponenten für Quantenuhren etabliert. Die Arbeit wird in der Fachzeitschrift „Physical Review X” veröffentlicht.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass die Genauigkeit von Quantenuhren durch die Entropie limitiert ist. Je genauer eine Uhr ist, desto mehr Entropie muss sie dissipieren. Das lässt sich nicht beliebig steigern. „Wir können für jedes bisschen an zusätzlicher Entropie ein wenig mehr an Information aus der Uhr ablesen. Wo die Grenze liegt, ist eine offene Frage”, sagt Emanuel Schwarzhans, Doktorand an der ÖAW und Erstautor der Arbeit. Dieser Zusammenhang wurde in Oxford gemeinsam mit Huber und dem Co-Autor Paul Erker auch schon in einem Experiment demonstriert. Ihre Quantenuhren aus Nanomembranen, die elektrische Ströme in Kondensatoren induzieren, ticken umso genauer, je mehr Arbeit sie verrichten.

Die Wahrscheinlichkeit der Ticks

Zudem setzt natürlich auch der periodische Prozess, den eine Uhr benötigt, der Genauigkeit in der Praxis Grenzen. „Theoretisch kann der periodische Prozess unendlich genau sein. Wenn ich ein unendlich komplexes Uhrwerk hätte, könnte ich damit einen perfekten periodischen Prozess erzeugen”, sagt Huber. Das neue mathematische Modell der Physiker zeigt aber, dass eine Uhr eben immer eine Kombination aus periodischem Prozess und einem irreversiblen Vorgang sein muss.

„Der periodische Prozess einer Uhr, also zum Beispiel ein Pendel, gibt der Uhr vor, wann ein Ticken stattfinden kann, es legt die Auflösung fest. Wir nennen das in unserem Paper Autonomous Temporal Probability Concentration”, sagt Huber. Co-Autoren Maximilian Lock und Nicolai Friis betonen, dass ein entscheidender Durchbruch ihrer Arbeit in der präzisen mathematischen Formulierung dieses Problems liegt, was durch die konzeptuelle Trennung dieses Prozesses vom eigentlichen Ticken der Uhr ermöglichte wurde. „Das Ticken der Uhr ist aber Teil des irreversiblen Prozesses und erhöht die Entropie im System”, sagt Huber. Unendlich genau laufen demnach nur Uhren, deren Ticken niemand sehen oder hören kann.

Originalpublikation

Autonomous Temporal Probability Concentration: Clockworks and the Second Law of Thermodynamics“, Emanuel Schwarzhans, Maximilian P. E. Lock, Paul Erker, Nicolai Friis, and Marcus Huber, Physical Review X, 2021., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster