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Dietmar Wiegand – neuberufener Professor für Projektentwicklung und Projektmanagement

Der gelernte Städtebauarchitekt will die Projektentwicklung als eigenständige lehr- und lernbare Disziplin etablieren und verwissenschaftlichen. Seine Forschungsaktivitäten zur lebenszyklusbezogenen Projektentwicklung und nachhaltigen Nutzung von Immobilien wird er an der TU Wien in drei transdisziplinären Forschungsschwerpunkten fortführen. In Wien genießt der Absolvent der TU Darmstadt vor allem die Kaffeehauskultur.

Dietmar Wiegand

Dietmar Wiegand

Dietmar Wiegand

Werdegang

Schon sehr früh als Kind begann sich Dietmar Wiegand mit dem Widerspruch zwischen der gebauten Umwelt, mit der sich die Menschen umgeben und den Aktivitäten, die sie darin eigentlich täglich praktizieren wollen, zu befassen. Dies war ein Grund, warum sich der gebürtige Berliner, der später ins Rhein-Main-Gebiet übersiedelte, für ein Architekturstudium an der Technischen Universität Darmstadt entschloss. Darüber hinaus interessierte er sich sehr für das plastische Gestalten und die Bildhauerei. Als zweiten Studienzweig belegte Wiegand Soziologie. Hierbei leitete ihn das Erkenntnisinteresse letztendlich begreifen zu können, warum sich dieser Widerspruch zwischen gebauter Umwelt und tatsächlichen Nutzungsansprüchen bei den Menschen ergab. Nach einem Auslandsaufenthalt in Madrid begann Professor Wiegand während des Studiums eine Tätigkeit als Wettbewerbsarchitekt. In diesem Zusammenhang betreute er auch die Planungsarbeiten um das Flugfeld Aspern in Wien, damals noch im Auftrag eines Darmstädter Architekturbüros.

Zwei Jahre nach Abschluss seines Studiums wechselte Wiegand wieder an die TU Darmstadt zurück und begann als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Stadt. "Ein Beweggrund wieder an die Hochschule zurückzugehen war, dass sich das Berufsfeld der Architekten und Raumplaner sehr stark verändert hatte. Heute lässt sich die Raumentwicklung und die Entwicklung gebauter Umwelt nicht mehr allein durch klassische Planung seitens der staatlichen Institutionen, d.h. durch das Zeichnen von Plänen, die dann als Satzungen beschlossen werden, steuern. Man muss viel stärker den Dialog suchen mit denjenigen, die in gebaute Umwelt investieren. Ökonomische Fragestellungen spielen eine wesentlich stärkere Rolle als früher", verdeutlicht Wiegand. An der TU Darmstadt forschte er daher sehr stark anwendungsorientiert an der Schnittselle zwischen Wirtschaftswissenschaften und Städtebau und widmete sich in Folge immer mehr dem transdisziplinären Fachgebiet der Projektentwicklung ("Real Estate Development" oder "Developing Planning"). 1998 baute er in Darmstadt ein neues privates Forschungs- und Beratungsunternehmen auf. Im Jahr 2002 erhielt er einen Ruf an die Züricher Fachhochschule, Studiengang Betriebsökonomie und Facilitymanagement. Im Jahr 2005 wechselte er an die ETH Zürich und konnte dort 1,6 Millionen Schweizer Franken an Forschungsmittel akquirieren. Wiegand leitete ein Forschungsprojekt im Bereich der ereignisbasierten Simulation für die Immobilien-Projektentwicklung. Im Februar 2007 folgte er einem Ruf an die TU Wien als Professor für Projektentwicklung und Projektmanagement. Seine Stelle wird durch Stiftungsmittel der Immobilien Privatstiftung in Wien ermöglicht.

Forschungsschwerpunkt Projektentwicklung

"Die Projektentwicklung beschäftigt mich seit zwölf Jahren. Sie stellt in der Ausbildung der Architektur und Raumplanung einen neuen Themenbereich dar. In der Projektentwicklungsphase werden die wesentlichen Weichen gestellt für die Entwicklung gebauter Umwelt und ich denke es ist sehr wichtig, dass die ArchitektInnen und RaumplanerInnen auf diese spezielle Phase, die zeitlich vor der Bauplanungsphase liegt, besser vorbereitet werden. – Zu dieser Zeit besteht die Möglichkeit wirklich auf die Entwicklung gebauter Umwelt Einfluss zu nehmen", so Wiegand. Die Ausbildung von ProjektentwicklerInnen auf akademischem Niveau ist laut Wiegand im deutschsprachigen Raum noch sehr neu. Gerade darin bestehe die Herausforderung, ein neues Fachgebiet, das sehr spannend ist, aufbauen zu können. Es liegt zwischen den Wirtschaftswissenschaften, den Rechtswissenschaften, der Informatik und den Planungswissenschaften. Wiegand: "Man kann sagen, dass die Immobilien-Projektentwicklung in der klassischen entwurfsbezogenen Architekturausbildung bisher keine Rolle spielt. Ich möchte die Projektentwicklung in der Ausbildung der ArchitektInnen und RaumplanerInnen an der TU Wien zu einem festen Bestandteil der Pflichtlehre machen. Dazu ist auch eine gewisse Verwissenschaftlichung des Fachgebietes notwendig. Es gibt wenig Lehrmaterial. Das theoretische Fundament fehlt noch."

Mit Hilfe der Informatik können im Bereich der lebenszyklusbezogenen Projektentwicklung von Bauvorhaben neue Formen der Wirtschaftlichkeitsanalysen durchgeführt werden, die das Verhalten des Managements über die Zeit mit berücksichtigen. Computersimulationen gewähren einen Blick in die Zukunft der Immobilie. "Vergleichbar mit einem Schachspiel, bei dem es viele mögliche Entscheidungen und Varianten gibt, die sich exponentiell entwickeln, wird hiermit auch die Veränderung der Immobilie hypothetisch betrachtet. Mit welcher Zinsentwicklung man beim Kapital rechnen muss, bis hin zu Marktentwicklungen und der Veränderung der Nachfrage. Hier können mögliche Szenarien und das Verhalten des Managements beim Eintreten bestimmter Ereignisse mit dem Computer durchgespielt werden", so Wiegand. Der neue TU-Professor rechnet, dass in rund fünf bis zehn Jahren die Ereignissimulationen auch in der Praxis standardmäßig angewandt werden. Als sein Spezialgebiet bezeichnete Wiegand die lebenszyklusbezogene Projektentwicklung. "Man versucht sich den Lebenszyklus von Immobilien anzusehen und Betriebskonzepte mitzuentwickeln, bevor die eigentliche Bauplanung beginnt." Der Betrieb der Immobilie wird im Vorfeld bereits über die nächsten 30 – 50 Jahre betrachtet.

Wie viele Liter braucht ein Gebäude?

An der TU Wien möchte Wiegand insgesamt drei Forschungsschwerpunkte aufbauen. Zunächst gilt es sich unter dem Begriff „Real Options Planning“ weiter mit den Simulationen in der Projektentwicklungsphase zu beschäftigen. Im zweiten Fachgebiet steht die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Hier gelte es Alternativen zu bieten zwischen der Ökobilanz von Lebensstilen und der Bilanzierung von Gebäuden. "Wie viel Ressourcen benötigt ein Gebäude über den Lebenszyklus? Und welche Aktivitäten werden damit unterstützt? Das Drei-Liter-Haus löst das Problem der Ressourcenknappheit auch nicht, wenn es die meiste Zeit leer und ungenutzt ist. Wir müssen in der Zukunft standardmäßig bilanzieren, wie groß der ökologische Fußabdruck einer menschlichen Aktivität ist, die in einem Gebäude stattfindet", betont Wiegand. Der dritte Forschungsschwerpunkt befasst sich mit der Projektentwicklungspraxis national und international. Wiegand: "Wir wollen herausfinden, wie die Projektentwicklung in Praxis, Lehre und Forschung in anderen Ländern betrieben wird. Die STRABAG hat durch die Beteilung russischer Investoren sicher einen Schritt in die richtige Richtung getan. Der Aufbau der Infrastruktur in Russland und anderer Länder Zentral- und Osteuropas ist sicher eine der Bauaufgaben der Zukunft. Die Ausbildung in Österreich muss zukünftig stärker als bisher auf die Arbeit in anderen Ländern vorbereiten."

Neue Vorlesungen im WS 2007/2008

"Die Studierenden werden im kommenden Wintersemester erstmals die Gelegenheit haben mit mir und meinem Team zu den Themen Projektentwicklung und –management konkret zusammenzuarbeiten. Neu wird die Kompetenzorientierung der Ausbildung sein. Es wird verschiedene Lehrveranstaltungen geben, die den Studierenden ermöglichen ein Kompetenzprofil zu erwerben, das sie zur Arbeit in der Projektentwicklung und im Projektmanagement befähigt. Ich sehe es auch als Teil meiner Arbeit, den StudentInnen bereits am Beginn des Studiums mitzuteilen, dass sie Projektentwickler oder Projketentwicklerinnen werden können. Ich möchte Ihnen auch zeigen, welche Module sie an der TU Wien zur Auswahl haben. Ich denke es ist wichtig hier Orientierungshilfen zu geben", erläutert Professor Wiegand. Gleichzusetzen mit einem Adelstitel für Personen, die im Bereich der Immobilienökonomie und Stadtentwicklungsplanung tätig sind, ist eine Akkreditierung der Studiengänge bei der "Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS)" in London. Wenn es die Zustimmung der Fakultät für Architektur und Rumplanung findet, wird Wiegand versuchen die Studiengänge der TU Wien dort zu akkreditieren.

Private Seite und Ausblick

Zu seinen Hobbies zählt Dietmar Wiegand die Bildhauerei, die er nach wie vor pflegt. Darüber hinaus war er 17 Jahre lang Leistungssportler im Rollschuhkunstlaufen. Mittlerweile praktiziert Wiegand in seiner Freizeit das Inlineskaten, am liebsten zusammen mit seiner siebenjährigen Tochter. An Wien schätzt er die Lebensqualität und Kaffeehauskultur. Die Kaffeehäuser nutze er auch für akademische Diskussionen oder Geschäfte. "Es ist einfach ein wunderbarer Ort das zu tun. Ich hoffe, dass ich Wien, was die Projektentwicklung und die städtebauliche Entwicklung angeht, in Zukunft noch besser kennenlernen werde und unser Fachbereich eine Anlaufstelle für Politik und Verwaltung bei Fragen zur Stadtentwicklung wird."

Für sein Fachgebiet wünscht sich Wiegand offene Türen zu anderen Hochschulen, speziell zur Wirtschaftsuni Wien beziehungsweise auch zu anderen Fakultäten an der TU Wien. Dies sei eine ganz wesentliche Vorraussetzung für solch einen transdisziplinären Fachbereich. Auch den Studierenden solle die Möglichkeit zur Mitarbeit in Forschungsprojekten gegeben werden. "Die Kombination von Forschung und Lehre unter Einbeziehung der StudentInnen in die einzelnen Projekte führt zu hierarchiefreiem Lernen und zum Miteinander-Lernen. Meine Auffassung von Didaktik ist die, dass sich jeder seine eigene individuelle Sichtweise der Welt kreiert und der Lehrer dabei unterstützend hilft. Ich für meinen Begriff ziehe die ‚konstruktivistische Didaktik’, wie der Fachbegriff heißt, heran", betont Wiegand.