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Die Mechanik des Lebendigen

Prof. Dieter Pahr forscht an der TU Wien und der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems an der Biomechanik von Knochen.

Dieter Pahr

Dieter Pahr

Dieter Pahr untersucht mit Computermethoden die mechanischen Eigenschaften menschlicher Knochen.

Es ist ein unscheinbarer kleiner Handknochen, ein paar Zentimeter lang, gefunden in Südafrika. Vor über zwei Millionen Jahren gehörte er einem unserer entfernten Vorfahren, einem Australopithecus Africanus. Heute wird er vermessen, analysiert und mit modernsten Computermethoden virtuell nachgebildet. So gelingt es Prof. Dieter Pahr und seiner Forschungsgruppe für computergestützte Biomechanik, bisher unbeantwortbaren Fragen nachzugehen – zum Beispiel, ob der Besitzer des prähistorischen Knochens seine Hand eher zur Fortbewegung oder auch zum Arbeiten mit Werkzeug verwendet hat.

Experimente am Computer

Die mechanischen Eigenschaften unterschiedlichster Bauteile zu analysieren, gehört zu den klassischen Standardaufgaben im Maschinenbau. Bei jedem Zahnrad, bei jedem Biegegelenk, bei jedem Stoßdämpfer lässt sich ausrechnen, welche Kräfte an welcher Stelle wirken, ob das Material diesen Kräften standhält und ob es zu Verformungen kommt. Mittlerweile sind diese Methoden so weit entwickelt, dass man sich damit auch komplizierten biologischen Materialien widmen kann. So entstand die computergestützte Biomechanik, ein Forschungsbereich, in dem Materialforschung, Computerwissenschaft und Medizin eng ineinandergreifen.

Bei dieser Interdisziplinären Arbeit ist es für Dieter Pahr wichtig, zwei wissenschaftliche Standbeine zu haben: Eines am Institut für Leichtbau und Struktur-Biomechanik, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster an der TU Wien, wo viel Know-how über die Modellierung von Materialien am Computer vorhanden ist, und das zweite an der Karl Landsteiner Privatuniversität, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster in Krems, die mit mehreren niederösterreichischen Landeskliniken zusammenarbeitet.

Für die klinische Praxis ist diese Art von Materialforschung sehr wichtig: Welche Kräfte treten auf, wenn man einen gebrochenen Knochen mit einer Metallplatte wieder zusammenfügt? Wie viele Schrauben sind nötig, um die Platte stabil zu fixieren? "Mit Hilfe der Computertomographie kann man die Dichte des Knochens Punkt für Punkt vermessen", sagt Dieter Pahr. "Mit unseren Computeralgorithmen kann man diese Messdaten dann sehr einfach in ein 3D-Modell umwandeln und damit berechnen, wie die Kräfteverteilung im Inneren des Knochens bei typischen Belastungen aussieht.“

Gleichzeitig hilft der direkte Kontakt mit dem medizinischen Personal, die täglichen klinischen Probleme besser zu verstehen: "Oft ergeben sich da Fragen, die mit unseren Methoden recht einfach zu beantworten sind, aber ohne diese Zusammenarbeit wären wir gar nicht auf die Idee gekommen, uns das mal anzusehen", meint Dieter Pahr.

Und manchmal ergeben sich auch exotischere Forschungsprojekte – wie die Studie mit den Handknochen des Australopithecus gemeinsam mit Anthropologen aus Deutschland und England. "Da konnten wir zeigen, dass unsere Vorfahren schon viel früher als ursprünglich gedacht ihre Hände auf recht moderne Weise benutzt haben", berichtet Pahr. "Anhand bestimmter Details in der Knochendichte kann man sehr genau feststellen, ob der Knochen aus einer Hand kommt, die hauptsächlich zur Fortbewegung benutzt wurde, oder aus einer Greifhand, die Werkzeug benutzen konnte."

Dieter Pahr

Dieter Pahr studierte Maschinenbau an der TU Wien, er arbeitete als Assistent am Institut für Leichtbau und Struktur-Biomechanik, im Jahr 2000 war er Visiting Scientist am NASA Forschungszentrum in Ohio (USA). Als sich die Karl Landsteiner Privatuniversität zu Forschungsaktivitäten im Bereich Biomechanik entschied, war Pahr dort als Koordinator tätig und wurde dann selbst zum Professor für Biomechanik berufen – parallel zu seiner Stelle an der TU Wien. Dieter Pahr ist daher nun gewissermaßen doppelter Professor: Je zur Hälfte verbringt er seine Zeit an der TU Wien und an der KL in Krems. Darüber hinaus hat er das Startup-Unternehmen gegründet, das die medizinische 3D-Software "medtool" weiterentwickelt und vermarktet.