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Das Pensionssystem kann Ungleichheit erhöhen

Wer reich ist, lebt auch länger. Pensionssysteme, die das ignorieren, bewirken eine Umverteilung von unten nach oben, sagen Studien der TU Wien.

Ein gelbes Verkehrsschild mit der Darstellung zweier älterer Personen als Piktogramm. TU Wien blauer Hintergrund.

Eigentlich soll das Pensionssystem dem sozialen Ausgleich dienen. Wer Geld verdient, zahlt ein. Wer nicht mehr arbeiten kann, bekommt eine Rente ausbezahlt. Doch wenn man sich die demographischen Daten genauer ansieht, zeigt sich ein etwas komplizierteres Bild: Die Lebenserwartung hängt mit dem sozioökonomischen Status zusammen. Wer in höherem Wohlstand lebt, lebt länger und kassiert dadurch auch längere Zeit Pensionszahlungen. So kann es passieren, dass Pensionssysteme nicht mehr progressiv sind, sondern regressiv werden – also eine Umverteilung von ärmeren zu reicheren Schichten bewirken. Modelle der TU Wien zeigen, dass dieser Effekt sehr robust ist und bei künftigen Pensionsreformen unbedingt mitberücksichtigt werden sollte.

Einkommen, Bildung und Lebenserwartung

Dass die Lebenserwartung mit dem sozioökonomischen Status zusammenhängt, ist gut belegt. Das trifft sowohl auf den Vergleich zwischen ärmeren und reicheren Ländern zu als auch auf unterschiedliche Bevölkerungsschichten innerhalb eines Landes. „Statistiken zeigen, dass der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen ärmeren und wohlhabenderen Bevölkerungsschichten in den letzten Jahren sogar noch gestiegen ist“, sagt Prof. Alexia Fürnkranz-Prskawetz, die am Institut für Stochastik und Wirtschaftsmathematik der TU Wien gemeinsam mit Dr. Miguel Sanchez Romero unterschiedliche Pensionssysteme untersucht.

Sorgfältige Analysen sind nötig, um aus solchen Beobachtungen Schlüsse ziehen zu können – schließlich ist eine Korrelation noch kein kausaler Zusammenhang. Noch stärker als der Zusammenhang zwischen finanziellem Wohlstand und Lebenserwartung ist der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Lebenserwartung: Wer gebildet ist, lebt länger – und diese Gruppe hat normalerweise auch ein höheres Einkommen.

Ursache und Wirkung

„Kompliziert wird die Sache dadurch, dass Menschen bis zu einem gewissen Grad die eigene Lebenserwartung abschätzen können und in ihre Entscheidungen miteinbeziehen“, sagt Alexia Fürnkranz-Prskawetz. „Das System setzt also Anreize, die das Verhalten verändern, und dieses veränderte Verhalten entscheidet dann wiederum darüber, wie progressiv oder regressiv ein gewähltes System ist.“ Wer davon ausgeht, länger zu leben, für den lohnt es sich auch eher, ein zusätzliches Jahr in Ausbildung zu investieren, um ein höheres Einkommen und damit auch höhere Pensionszahlungen zu haben. All diese Effekte beeinflussen einander gegenseitig.

An der TU Wien wurden daher mathematische Modelle entwickelt, mit denen man diese Zusammenhänge simulieren kann. Dabei zeigte sich: Tatsächlich können unsere Pensionssysteme zu einer Umverteilung von unten nach oben führen. Gerade wohlhabende Schichten bekommen aufgrund ihrer längeren Lebensspanne besonders viel ausbezahlt.

Wo die Mathematik aufhört, fängt die Politik an

Wie man das am besten lösen kann, lässt sich mathematisch nicht klar beantworten: „Natürlich könnte man für unterschiedliche Gruppen jeweils unterschiedliche Sterbetafeln heranziehen. Man könnte den Pensionsbeitrag oder die Höhe der Pensionen entsprechend anpassen, sodass jede Gruppe gleich gut abschneidet“, sagt Miguel Sanchez Romero, „aber ob das zielführend ist, ist allerdings eine ganz andere Frage. Schließlich gibt es immer Trade-offs zwischen Umverteilung, die mehr Gleichheit gewährleisten soll, und Anreizwirkungen, die das Verhalten der Menschen beeinflussen sollen, zum Beispiel höheres Investment in Bildung.“

Eine wichtige Empfehlung möchten Alexia Fürnkranz-Prskawetz und Miguel Sanchez Romero der Politik aber trotzdem mit auf den Weg geben: Wenn man keine Bevölkerungsgruppe benachteiligen möchte, muss man alle Bereiche des Sozialsystems gleichzeitig betrachten. „Man kann das Pensionssystem nicht getrennt vom Gesundheitssystem oder vom Bildungssystem betrachten“, sagt Alexia Fürnkranz-Prskawetz. „Wir wissen, dass unser Pensionssystem reformiert werden muss. Aber bei jeder zukünftigen Reform muss man unbedingt berücksichtigen, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auf ganz unterschiedliche Weise vom Pensionssystem profitieren. Wenn man das übersieht, dann kann es leicht passieren, dass man das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich erreichen wollte.“

Die Forschungarbeit wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „Social Security Reforms in Heterogeneous Ageing Populations“ der Österreichischen Nationalbank finanziert.

 

Originalpublikationen

Aktuell

Sanchez-Romero, Miguel; Schuster, Philip; Prskawetz, Alexia (2021) Redistributive effects of pension reforms: Who are the winners and losers? ECON WPS - Working Papers in Economic Theory and Policy, No. 06/2021, https://www.econstor.eu/handle/10419/233978, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Zum Nachlesen

Sanchez-Romero, Miguel, Ron Lee, and Alexia Prskawetz (2020). "Redistributive effects of different pension systems when longevity varies by socioeconomic status". In: Journal of the Economics of Ageing, No. 17. https://doi.org/10.1016/j.jeoa.2020.100259, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Sanchez-Romero, Miguel and Alexia Prskawetz (2020). "The impact of reducing the pension generosity on inequality and schooling". In: De Economist 168, pp. 279-304. doi: https://doi.org/10.1007/s10645-020-09359-w, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.

Kontakt

Prof. Alexia Fürnkranz-Prskawetz
Institut für Stochastik und Wirtschaftsmathematik
Technische Universität Wien
Wiedner Hauptstraße 8–10, 1040 Wien
+43 1  58801 10530
alexia.fuernkranz-prskawetz@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
PR & Marketing
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