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Das "M" in MINT: TU Wien beobachtet Absinken der Mathematikkenntnisse von Studienanfänger_innen

In einem offenen Brief an Bundesminister Faßmann treten TU-Lehrende für gezielte Förderung in den Schulen und Ausbau von Vermittlungsformaten ein:

Plakat "TU For Math"

Sehr geehrter Herr Bundesminister Faßmann,

Die Technische Universität (TU) Wien beobachtet ein stetes Absinken der mathematischen Kenntnisse und Fähigkeiten von Studienanfänger_innen. Mit diesem Schreiben möchten wir die politisch Verantwortlichen nicht nur darauf aufmerksam machen, sondern sie nachdrücklich auffordern, ihre Bemühungen zur Verbesserung der Qualität der Schulausbildung fortzusetzen und zu intensivieren, und gleichzeitig die Unterstützung der TU Wien in deren diesbezüglichen Bemühungen zuzusichern.

Die Technischen Universitäten investieren mittlerweile sehr viel, um Studienanfänger_innen an das nötige Anfangsniveau in Mathematik heranzuführen: durch verschiedene Auffrischungskurse (wie z.B. den AKMATH an der TU Wien), Self-Assessment-Tests und vor allem auch mit deutlich intensiveren Mathematik-Übungen in den Mathematik-Grundvorlesungen unserer technischen Fächer. Wir sind auch mit deutlich höheren Studierendenzahlen in den technischen Fächern konfrontiert als vor 10 oder 20 Jahren, was prinzipiell ein sehr positiver Trend ist, allerdings auch das Absinken des durchschnittlichen Niveaus mitbedingt.

Trotzdem tragen unsere Bemühungen Früchte: Die Absolvent_innenzahlen steigen etwa im selben Ausmaß wie die Anfänger_innenzahlen. Die Situation ist trotz allem von einem Idealzustand weit entfernt, da die Kluft zwischen den eingebrachten und erforderlichen Kompetenzen tendenziell steigt und der Mehraufwand für die TU Wien dadurch immer größer wird und immer mehr Ressourcen dafür reserviert werden müssen. Außerdem können Brückenkurse während der ersten paar Wochen eine jahrelange Mathematikausbildung an den Schulen in keinster Weise ersetzen: Mathematisches Denken, Beweismethodiken, Rechenfertigkeiten, etc. werden nur durch längerfristige Beschäftigung mit der Mathematik entwickelt.

In den letzten Jahren war die Diskussion an den Schulen sehr stark auf die Einführung der Zentralmatura fokussiert. Diese wird insbesondere in Mathematik grundsätzlich begrüßt, da sie eine Vergleichbarkeit sicherstellt und das Grundkonzept Verbesserungen auf mehreren wichtigen Ebenen ermöglicht: etwa beim grundsätzlichen Verständnis mathematischer Zusammenhänge und Begriffsbildungen oder bei der textuellen Erfassung und der formalen mathematischen Umsetzung von Aufgaben. Das sind im Prinzip Schritte in die richtige Richtung und es ergeben sich Chancen zur Verbesserung der Gesamtsituation, etwa hinsichtlich der Sicherstellung eines gewissen Mindeststandards des mathematischen Niveaus der Absolvent_innen unterschiedlicher Schulen und Schultypen.

Die Defizite, die wir dann an den Universitäten beobachten, betreffen mehrheitlich ganz elementare mathematische Fertigkeiten wie Termumformungen, Trigonometrie, den Umgang mit elementaren Funktionen, aber auch logische Schlussweisen - also vor allem grundlegende Rechenfertigkeiten und Fähigkeiten, auf die Schullehrpläne sehr wohl abzielen. Ohne ausreichende Kompetenzen dieser Art ist der Start für unsere Studierenden außerordentlich schwierig und verursacht einen nicht zu vernachlässigenden Drop-out, der sich verhindern ließe. In diesem Zusammenhang sollte auch die derzeit uneingeschränkte Möglichkeit der Verwendung von Computer-Algebra-Systemen bei der Zentralmatura überdacht werden. Ähnliche Diskussionen gibt es auch in anderen Ländern.

Wir verweisen hier z.B. auf den offenen Brief aus Deutschland vom 17.3.2017:
https://www.tagesspiegel.de/downloads/19549926/2/offener-brief.pdf, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Es ist nötig, hier verstärkt Maßnahmen zu setzen, um die Qualität der Mathematikausbildung in den Schulen nachhaltig zu verbessern. Einerseits gilt es, die Zentralmatura weiterzuentwickeln, da die Gestaltung derselben großen Einfluss auf den Unterricht in der gesamten Oberstufe hat. Andererseits sollten aber vor allem auch die Unterrichtsziele und – methoden über die Zentralmatura hinaus mit Angeboten für Schüler_innen und Lehrer_innen ergänzt werden, etwa durch Freiräume in den Lehrplänen oder durch Zusatzangebote.

So könnte etwa in naturwissenschaftlich orientierten Oberstufen gezielt gefördert werden, um deren Absolvent_innen für ein MINT-Studium besser vorzubereiten. Neben dem Känguru-Test und der Mathematik-Olympiade bietet z.B. die Universität Wien durch das Projekt "Mathematik macht Freu(n)de" vielseitige Unterstützung. Die TU Wien bietet mit dem neuen "TU ForMath - Forum Mathematik" (https://tuformath.at) in dem - ähnlich wie beim früheren math.space - neben populärwissenschaftlichen Vorträgen auch ein Angebot für Schulklassen Bestandteil ist, eine Plattform, die Mathematik in unkonventioneller Form näherbringt.

Wir sind überzeugt, dass es möglich ist, durch einen konzertierten Einsatz von Maßnahmen Maturant_innen für MINT-Fächer nicht nur vermehrt zu begeistern, sondern sie auch besser für die Herausforderungen eines MINT- Studiums vorzubereiten. Daher appellieren wir an Sie, sich dieser Problematik mit verstärktem Einsatz und auch mit mehr Problembewusstsein für die Bedürfnisse technischer Universitäten zu widmen.

Für die TU Wien:

Ao.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Kurt MATYAS, Vizerektor für Studium und Lehre
Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Michael DRMOTA, Dekan der Fakultät für Mathematik und Geoinformation


Rückfragen & Kontakt:
Technische Universität Wien
Bettina Kunnert, MAS
Pressesprecherin
Mobil +43 664 4845028
bettina.kunnert@tuwien.ac.at
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