Anlagen für biopharmazeutische Prozesse
Der Weg zur Bioverfahrenstechnik begann für Professor Herwig zunächst mit einem Studium an der RWTH Aachen. Dort inskribierte er sich 1989 für das Fach Maschinenbau mit Vertiefungsrichtung Verfahrenstechnik. „Mit Biotechnologie hatte dies nicht viel zu tun, aber die verfahrenstechnischen Grundprinzipien sind die Gleichen“, so Professor Herwig, rückblickend. Nach seinem Diplom 1994 ging er für drei Jahre in die Industrie, wo er sich für die Firma Uhde aus Dortmund mit dem Anlagenbau für die Produktion von Basischemikalien, wie Natronlauge oder Schwefelsäure beschäftigte. „Es ging dabei um großtechnische Anlagen, die ich vom ersten Strich auf weissem Papier bis zur Inbetriebnahme umgesetzt habe. Ich habe dort sehr schnell gemerkt, dass die Konkurrenz aus Asien im Bereich Basischemikalien sehr hoch ist. Deshalb habe ich mich immer mehr mit Produkten mit höherer Wertschöpfung auseinandergesetzt. Die Biotechnologie ist ein Bereich, der in Europa gut vertreten ist und sein wird“, fasst Herwig zusammen. Im Anschluss nahm er die wissenschaftliche Laufbahn an der EPFL (Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne) wieder auf und widmete sich im Rahmen seiner Dissertation dem Brückenschlag zwischen der traditionellen Verfahrenstechnik sowie Prozessentwicklung und den biotechnologischen Verfahren. „Ich habe mit verschiedenen Firmen zusammengearbeitet und physiologische Studien gemacht. Biotechnologische Verfahren können sehr komplex sein. Beispielsweise spielen hier Stoffwechselregulationen in Zellen eine Rolle. Ich konnte im Rahmen meiner Arbeit zeigen, wie man mit verfahrenstechnischen Methoden neue Stoffwechselmechanismen identifizieren kann. Das Ziel war hier zwei Sprachen zu sprechen, einerseits eine verfahrenstechnische und andererseits eine genetische Sprache“, so Herwig. Den Trend an manchen Universitäten keine neuen Professoren mehr für den Bereich Bioprozesstechnik oder Verfahrenstechnik zu berufen, versteht Herwig nicht. „Wir werden immer wieder damit konfrontiert, dass Prozesse schlecht entwickelt oder nicht skalierfähig sind. Das liegt daran, dass verfahrenstechnische Rahmenbedingungen einfach nicht eingehalten werden“, so der neuberufene TU-Professor. Nach der Promotion wechselte er abermals in die Industrie, blieb in der Schweiz zunächst bei Pharmaplan Engineering in Basel, dann bei Lonza und ging von 2006 bis 2008 zu LSMW. An der Schnittstelle zwischen Verfahrenstechnik und biopharmazeutischen Prozessen, baute er Anlagen für Biopharmaka. Am 7. Juli 2008 wird Christoph Herwig zum Universitätsprofessor für Bioverfahrenstechnik am Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und Technische Biowissenschaften der TU Wien berufen.
Forschungsschwerpunkt: Brückenschlag zwischen Verfahrenstechnik und Biotechnologie
Christoph Herwig liegt der Brückenschlag zwischen der Verfahrenstechnik und der Biotechnologie sehr am Herzen. „Ich denke, dass war auch der Grund, warum ich hierher berufen wurde. Wir müssen eine Lücke füllen. Das ist ganz klar die methodische Vorgehensweise für eine wissenschaftlich basierte Bioprozessentwicklung. Ich sehe mich hier als Übersetzer zwischen der Verfahrenstechnik und einer sauberen Prozessführung sowie Bilanzierung und Quantifizierung der Resultate auf der einen Seite. Auf der anderen Seite der Biotechnologie geht es um die physiologischen Auswertungen und den Blick hinein in die Zellen. Man untersucht hier die regulatorischen Anpassungen von Zellen, z.B an neue Prozessbedingungen oder Stress“, so Herwig. In der Prozessentwicklung muss nachgewiesen werden, dass der Prozess skalierbar ist. Das heißt, dass er maßstabsgetreu auf große Mengen umgelegt werden kann, ohne dass dabei nicht verwertbare Nebenprodukte entstehen. Das Problem der Skalierbarkeit begleitet viele verfahrenstechnische Prozesse. Herwig plädiert aus diesem Grund dafür, bereits in einem frühzeitigen Stadion der Bioprozessentwicklung quantitativ zu arbeiten, um solche Fehler zu vermeiden. „Es gibt Zulassungsbehörden für Pharmazeutika, wie die FDA (Food and Drug Administration) in den USA oder die EMEA (European Medicines Agency) in Europa, die erwarten, dass die Prozessentwicklung vom ersten Schritt an wissenschaftlich erfolgt. Man nennt das ‚quality by design’. Es besteht die Gefahr, dass ein Endprodukt in den Abfall wandert, falls Abweichungen beim Produkt nicht wissenschaftlich belegt werden können“, erklärt Christoph Herwig. Weiterhin, werden in der Industrie derzeit bereits sogenannte „Einwegreaktoren“ eingesetzt. Sie ersetzen teuere Edelstahlreaktoren durch Plastiksäcke, in denen man Zellen kultiviert. Diese sogenannten „disposable reactors“ in der eigentlichen Prozessentwicklung früh zu berücksichtigen und zu garantieren, dass die Prozesse skalierbar bleiben, spielt ebenfalls in das Aufgabengebiet von Professor Herwig hinein. Diese Säcke haben ein Fassungsvermögen von beispielsweise 1000 Litern. Herwig: „Man muss sich überlegen in welchem Maßstab man arbeiten möchte und ob die Einweglösung nicht spätere Investitionen erspart und man somit frühzeitig die Prozessentwicklung darauf ausrichtet.“ Geplant ist zunächst die Einrichtung einer speziellen Testumgebung mit hoch instrumentierten und automatisierten Bioreaktoren. Dieses Labor wird Professor Herwig und seinen MitarbeiterInnen für die Quantifizierung von dynamischen Vorgängen innerhalb von mikrobiellen Zellen zur Verfügung stehen. Spezielle spektroskopische Messsysteme, die Komponenten innerhalb einer Zellkultur messen, sollen dafür angeschafft werden. „Die Kulturen werden nicht nur unter statischen sondern im Besonderen unter dynamischen Prozessbedingungen analysiert. Das heißt, wir versetzen die Zellen in Stress, zum Beispiel durch verzögerte Nahrungsaufnahme und untersuchen, wie sie darauf reagieren. Dann können wir Methoden anderen Gruppen der Prozessentwicklung zur Verfügung stellen, um dies zu quantifizieren. Zum zweiten wollen wir wissenschaftliche Analysen über die physiologischen Vorgänge in den Zellen durchführen. So können auch neue Mechanismen gefunden werden, wie die Zelle überhaupt gesteuert wird. Und wenn man dann rausgefunden hat, wie die Zelle reagiert, kann man den Prozess und die Zellen auch so designen, dass er produktivitätsoptimiert ist, dass also die Zelle in einem definierten Stresszustand, die maximale Produktivität des Zielproteins liefert. Hier spricht man auch von ‚metabolic engineering’“, so Herwig.
Feedback und Interaktion in der Lehre
Ab Herbst 2008 übernimmt Professor Herwig an der TU die Vorlesung für Bioverfahrenstechnik. „Das ist die Kernvorlesung im Masterstudium. Ich werde auch Wahlfächer anbieten, welche sich unter anderem um die pharmazeutischen Aspekte kümmern. Im Bachelor teile ich gemeinsam mit Professor Kubicek eine Vorlesung über Biotechnologie. Hier werden beide Themenbereiche, also sowohl der genetische von Herrn Professor Kubicek als auch der technische Teil von meiner Seite, berücksichtigt. So wird es für die Studierenden bereits in dieser Phase sichtbar, das beide Sichtweisen wichtig sind.“ Er betont dabei, dass er Wert darauf legt, dass es sich nicht um eine Vorlesung im klassischen Sinn handelt, sondern um eine Interaktion. Herwig: „Ich möchte nicht an einer Stelle anfangen, wo niemand folgen kann. Ich möchte Feedback bekommen. Es gibt in der Lehre nichts Schöneres, als den StudentInnen in die Augen zu sehen und festzustellen, dass sie es verstanden haben. Dann weiß man, das vergessen sie auch nicht mehr. Das ist meine Motivation dahinter.“ Die Berufsaussichten seiner AbgängerInnen schätzt Christoph Herwig hervorragend ein, selbst wenn es im Großraum Wien ein geringeres Angebot an Firmen, die in der Biotechnologie arbeiten, gibt.
Kontaktfreudige Wiener und familiäre Bindungen in die Türkei
Ursprünglich stammt Professor Herwig aus Essen, im Ruhrgebiet. „Nach 11 Jahren in der Schweiz, bin ich nun in Wien gelandet. Ich schätze hier unheimlich die Kultur und die Geschichte, aber auch die Kontaktfreudigkeit der BewohnerInnen finde ich ganz toll. Die Leute sind hilfsbereit und kontaktfreudig, das begeistert mich sehr. Ansonsten verbringe ich natürlich viel Zeit mit meiner Familie. Meine kleine Tochter ist zwei Jahre alt und bestimmt unser Privatleben aktiv mit, was toll ist“, so Herwig. In der Türkei urlaubt er regelmäßig bei der Familie seiner Frau und verfügt nicht zuletzt deshalb auch bereits über gute Türkischkenntnisse. Linkswalzer tanzen kann er nach eigenen Aussagen noch nicht, möchte dies aber für die bevorstehende Ballsaison ein bisschen üben. Seinen Führungsstil bezeichnet Herwig als flach und nicht hierarchisch. Er möchte mit seinem Team offen diskutieren können und Meinungen auszutauschen.
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