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Aus- und Weiterbildung im Sinne des nachhaltigen Bauens

Wie werden wir zu einer Gesellschaft, die nachhaltig leben und bauen WILL? Ein Plädoyer für die Aus- und Weiterbildung im nachhaltigen Bauen.

Vivihouse

Das vivihouse wurde gemeinsam mit Absolventen des MEng Nachhaltig Bauen entwickelt, © Robert Bodnar

Text Karin Stieldorf

 

Neben Pandemie, Ukraine-Krieg und Inflation bleibt die Bewältigung der Klimaänderung die größte und mit Sicherheit auch langwierigste Herausforderung unserer Zeit. Dabei spielt die Frage nach der „Zukunft, die wir uns wünschen“ („The future we want“) eine Schlüsselrolle: Sie sollte mit der Erstellung der Österreichischen Road Map 2050 beantwortet werden, wobei der Fokus auf Mobilität, Smart Cities, Energiewirtschaft und Digitalisierung lag und damit auf den Themen, die für nachhaltiges Bauen bedeutend sind. Für die Pioniere der Branche war die Zeit lang bis ihre Weckrufe und Intentionen spürbar ernst genommen wurden, doch freut man sich jetzt nicht nur über die Aufbruchstimmung, sondern auch über die gewonnene Breite und den deutlich gesamtheitlicheren Ansatz als noch vor einigen Jahren.

Rückblick und Überblick

Zunächst soll hier ein kurzer Überblick erfolgen über das, was in den letzten 25 Jahren in Hinblick auf nachhaltiges Bauen erreicht werden konnte:

  • Mit der Entwicklung/Weiterentwicklung des Energieausweises und dessen Etablierung als verpflichtendes Instrument wurde der Energieeffizienz-Standard des Neubaus deutlich erhöht, wobei allerdings die Sanierungsrate des Bestands zugleich schrumpfte. Hier besteht Nachholbedarf. Auch wenn die Energieeffizienz von Neubauten deutlich angehoben werden konnte, gibt es noch „Luft nach oben“.
  • Die Gebäudebewertung fußt inzwischen mehrheitlich auf den drei Säulen Ökologie, Ökonomie und soziokulturelle Aspekte. Hier wurde ein sehr guter technischer Standard erreicht, der nahezu europaweit etabliert und teilweise auch harmonisiert werden konnte. Breeam (UK), DGNB (GE), Minergie (CH), ÖGNI und ÖGNB (AT), HQE (F), CasaClima (I), LEED (USA), LEVELS (EU) sind einige der in Europa häufig eingesetzten Bewertungstools. Den Rahmen für eine harmonisierende, international ausgerichtete und vernetzte Weiterentwicklung bildet ein neuer Fachnormenausschuss (FNA 271), der exzellent besetzt ist und viel Interesse sowohl in der Bauwirtschaft als auch bei Planern geweckt hat.
  • Die Anwendungen des Life-Cycle-Assessment (LCA, Ökobilanz) und des Life-Cycle-Cost-Assessment (LCCA) konnten in der Gebäudebewertung gefestigt werden, die verpflichtende europäische Umweltdeklaration (Environmental Product Declaration, EPD) für Baustoffe stellt quantifizierte umweltbezogene Informationen aus dem Lebensweg zur Verfügung und ermöglicht damit den Vergleich unterschiedlicher Produkte. Diese Entwicklung wurde gut angenommen und hat nicht nur zu besserem Umweltverständnis, sondern auch zu Verbesserungen in der Produktion geführt.
  • Die Themen der Kreislaufwirtschaft werden kommuniziert und beginnen Fuß zu fassen.
  • Der Umbau der Energieträger und der Energieversorgung wurde unterstützt und durch Förderungen wurde intensiv geforscht. Die Ergebnisse helfen die Schritte zu setzen, die infolge der aktuellen politischen Situation unabdingbar sind, und nun auch zwingend und energisch angegangen werden müssen.
  • Erneuerbare Energieträger werden besser gefördert und setzen sich durch – vor allem gebäudeintegrierte Photovoltaik ist am Markt angekommen.
  • Raumplanerische und städtebauliche Aspekte – wie die jeweils angepasste Dichte oder das Maß der verträglichen Versiegelung von Bodenfläche – wurden nicht nur intensiv diskutiert, sondern auch in Wettbewerben entsprechend „mitgenommen“.
  • Der Stellenwert der Digitalisierung im Baubereich und seine Akzeptanz sind deutlich gestiegen: Building Information Modeling (BIM) sowie Berechnungs- und Simulationstools werden zunehmend genutzt und die für die Vernetzung erforderlichen Schnittstellen wurden/werden entwickelt. Damit sind iterative Optimierungsschritte leichter durchführbar geworden.
  • Insgesamt ist viel weitergegangen – nicht zuletzt oder insbesondere auch deshalb, weil Institutionen wie das Österreichische Institut für Bautechnik nachhaltiges Bauen zu ihrem Anliegen gemacht haben und für entsprechende Richtlinien sorgen.

Dennoch fordern die strategischen und organisatorischen Änderungen, die für nachhaltiges Bauen nötig sind, von vielen im Baubereich aktiv Tätigen großes Engagement, Kraft und Anstrengung. Oft muss das Wissen, das zu den erforderlichen Änderungen befähigt, auch erst erworben werden. Dies wird häufig hinsichtlich des Zeitaufwands und seiner Verfügbarmachung unterschätzt. Auch in der Wissensvermittlung sind Umdenken und Neuorientierung Voraussetzungen für die Befähigung der Weitergabe. Überzeugung, Expertise, vernetztes Denken und die Bereitschaft, die Zukunft innovativ zu denken, müssen Lehrende mitbringen und sind relevant dafür, dass sich Kollegen aus der Praxis und Neueinsteiger für eine nachhaltige Zukunft fit machen lassen wollen.

Ausbildung und Weiterbildung

Zwei Beispiele für die erfolgreiche Weitergabe von Wissen aus dem eigenen Umfeld seien hier genannt:

Masterlehrgang Nachhaltiges Bauen

Zum einen der Masterlehrgang Nachhaltiges Bauen, der in Kooperation von TU Wien und TU Graz durchgeführt wird. Neben der bereits eingeführten Lehrgangsleiterin der TU Wien Karin Stieldorf wurde nun Alexander Passer für die TU Graz berufen. Alexander Passer ist auch der neue Professor für Nachhaltiges Bauen an der Architekturfakultät der TU Graz. Er hat die lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung sowie emissionsarme, klimarobuste Bauweisen im Fokus, bringt Wissen, Erfahrung und großes Engagement mit. Vor inzwischen zehn Jahren gegründet, widmet sich der Masterlehrgang Nachhaltiges Bauen vor allem der Bewusstseinsbildung für ganzheitliche, lebenszyklusorientierte Betrachtung von Bauaktivitäten. Die Absolventen werden zur Realisierung der Grundsätze nachhaltigen Wirtschaftens in der Projektentwicklung, in Planung und Ausführung sowie im Betrieb und der Beseitigung von Gebäuden befähigt. In Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) ist es im Rahmen dieses Lehrganges möglich, zum Auditor ausgebildet zu werden. Zum Abschluss erfolgt die Verleihung des akademischen Grades Master of Engineering (MEng) bzw. des Abschlusszertifikats der TU Graz und der TU Wien. Voraussetzung für die Bewerbung ist ein international anerkannter erster akademischer Studienabschluss (in Österreich, Master-, Bachelor- oder Fachhochschulabschluss in- und ausländischer Universitäten) einer technischen, naturwissenschaftlichen, juristischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtung. Die Rückmeldungen der Studierenden und der Alumni sind sehr positiv. Die erworbenen Fähigkeiten können im Berufsumfeld bestens eingesetzt werden und haben generell nicht nur einen beruflichen Aufschwung zur Folge, sondern auch Zufriedenheit mit der Ausrichtung der Tätigkeit. Der nächste Lehrgang beginnt am 20. Oktober 2022, Ende der Bewerbungsfrist ist der 28. August 2022.

Symposium Planerforum.Architektur

Zum anderen soll hier das Symposium Planerforum.Architektur genannt werden, bei dem jedes Jahr spannende Beiträge zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands, neueste technologische Entwicklungen im Kontext des klimaadaptiven und nachhaltigen Planens und herausragende architektonische Beispiele präsentiert werden, sowie Diskussionen über die Zukunft des Bauens zu hören sind und zum Nachdenken anregen. Im Rahmen des Programms werden auch Projekt-Beispiele aus der Aus- und Weiterbildung, u.a. dem oben beschriebenen MEng Nachhaltiges Bauen der ACE der TU Wien und des LLL der TU Graz, gezeigt und zwar sowohl aus dem Neubau wie auch aus der Sanierung. Studierende haben sich beispielsweise Gedanken über neue Bausysteme gemacht, die kreislauffähig sind und nachwachsende Rohstoffe (NawaRos) als Baustoffe nutzen. Dabei kommen auch Holz und Lehm sowie Stroh zum Einsatz. Denkbar ist aber auch die Kombination mit aktivierten Decken und Stützen in Massivbauweise, sodass jeder gewählte Baustoff optimal eingesetzt werden kann. Bei dem informellen Get-Together im Anschluss konnten Erfahrungen ausgetauscht und Kontakte geknüpft werden. Nach mehr als zwei Jahren pandemiebedingter Absage, war heuer der Eintritt für allen Teilnehmer kostenfrei. Das Planerforum.Architektur fand am 2. Juni 2022 (ganztags) im Kuppelsaal der TU Wien statt. Das detaillierte Programm sowie einen Rückblick finden Sie auf planerforumarchitektur.at, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.

Über die Autorin

Ass. Prof. Dipl.-Ing. Dr. Karin Stieldorf ist Expertin in der Arbeitsgruppe für Nachhaltiges Bauen und forscht am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien. Außerdem ist sie Lehrgangsleiterin des MEng & ZLG Nachhaltiges Bauen.

Kontakt: karin.stieldorf@tuwien.ac.at