Darstellung diverser Bestandteile von Gewebe

Biomechanik

Vision und Grundgedanke

Die Entwicklung und Bereitstellung von Methoden und Werkzeugen  mit denen ein mechanistisches Verständnis der mechanischen Eigenschaften biologischer Gewebe erlangt werden kann. In weiterer Folge sollen diese Methoden und Werkzeuge angewandt werden um Veränderungen  Alterung und Krankheit zu ermitteln und somit neue Wege für die Diagnose und Therapie für Patienten bereitzustellen.

Labor, Kompetenzen und Methoden

Unsere experimentelle Studien werden im Interfakultären Labor für Micro- und Nanomechanik von biologischen und biomimetischen Materialien (MMLab) durchgeführt. Das MMLab (welches unter der Leitung des ILSB steht) bietet über Kooperationsvereinbarungen Zugang zu allen experimentellen Einrichtung. Unsere Kompetenzen und Methoden beinhalten: Rasterkraftmikroskopie, Nanoindentation, Micro-Computer Tomografie, Lichtmikroskopie, Mikromechanische Charakterisierung, Instrumentierung, Präparation von Gewebeproben und mehr.

Gewebebiomechanik auf mehreren Längenskalen

Gewebe sind von Natur aus hierarchisch aufgebaute Verbundmaterialien, die aus nanoskaligen Bausteinen bestehen. Der Grund für die nanoskalige Größe der Bausteine liegt in der begrenzten Fähigkeit biologischer Zellen, große monolithische Strukturen aufzubauen. Daher besteht die Strategie lebender makroskopischer Systeme, z.B. dem menschlichen Körper, darin hierarchische Strukturen und Architekturen zu verwenden. Innerhalb dieser Strukturen bilden die jeweils kleineren Bausteine größere Strukturelemente, die schließlich zu ganzen Organen und in Kombination zu einem kompletten lebenden System führen. Diese intelligente Art und Weise, „Riesen aus Zwergen“ zu erschaffen, hat jedoch komplexe Auswirkungen auf die Biomechanik lebender Systeme, vor allem auf die enthaltenen Gewebe.

Erstens wird die Definition von Materialeigenschaften, die in der Materialwissenschaft allgemein verwendet wird, um mechanische Eigenschaften auf Materialebene im kontinuierlichen Sinne zu definieren, zu einer komplizierten Aufgabe. Gewebe an sich verhalten sich entsprechend der darin enthaltenen Strukturen. In vielen Fällen ist es nicht möglich, ein repräsentatives Volumenelement (RVE) zu definieren, da ein RVE in der Regel deutlich kleiner als die zu untersuchende Struktur und deutlich größer als das nächste kleinere Strukturelement sein sollte.

Zweitens könnte sich jede Änderung des mechanischen Verhaltens auf der Makroskala, aufgrund von Alter oder Krankheit, prinzipiell auf jeder Skala innerhalb der hierarchischen Struktur des Gewebes manifestieren. Daher wird die Beantwortung der Frage was sich nun genau in der Struktur oder Zusammensetzung verändert zu einer Herausforderung und erfordert Analysen auf mehreren bzw. allen Strukturebenen. Da dies im Allgemeinen nicht möglich ist, besteht der verbleibende gangbare Ansatz darin, eine fundierte Beurteilung der Hierarchieebene vorzunehmen, auf der die Änderungen erwartet werden, und auf dieser Ebene Experimente durchzuführen.

Im Forschungsbereich Biomechanik verfolgen wir eben diesen Ansatz, um einerseits die Mechanismen zu untersuchen, durch die das mechanische Verhalten gesunder biologischer Gewebe festgelegt wird, und andererseits welche Veränderungen aufgrund von Alterung und Krankheit auftreten können. Aufgrund der Tatsache, dass Zellen nur kleine Objekte „bauen“ können, erfordert dieser Ansatz auch die Fähigkeit, kleine Proben präparieren und zu charakterisieren, das heißt im Mikro- und Nanobereich. Zu diesem Zweck wurden und werden Miniaturprüfsysteme und spezifische Ansätze stetig weiterentwickelt, um so das mechanistische Verständnis der Gewebebiomechanik voranzutreiben. Die Forschung in diesem Bereich konzentriert sich auf die Veränderung der mechanischen Eigenschaften von hartem (Knochen) und weichem Gewebe in Abhängigkeit von Alter und Pathologie.

Übersicht Forschungsbereich Struktur-Biomechanik

Lebende makroskopische Systeme verwenden jeweils kleinere Bausteine um größerer Strukturelemente zu bilden die schließlich zu einem lebenden System führen.

Kollagen und Mechanobiologie

Lebende biologische Gewebe sind sehr dynamisch. Zellen, die in den Geweben enthalten sind, können als Mechanosensoren wirken und auf ihre mechanische Umgebung reagieren, indem sie die Gewebezusammensetzung durch Proteinexpression und post-translationale Modifikationen verändern. Während solche Mechanismen für Gewebe zur Anpassung an unterschiedliche Belastungsszenarien von großer Bedeutung sind, können sie auch zu Pathologien führen, die zu einer Verschlechterung der mechanischen Funktion von Geweben, z.B. nach einer Verletzung oder wegen Überlastung, führen können. In solchen Situationen können Zellen, die in Geweben enthalten sind, versuchen eine Homöostase bereitzustellen, z.B. um die erfahrene Belastung zu reduzieren. Dies kann dazu führen, daß Proteine ​​und Enzyme exprimiert werden um lokal steiferes Gewebe bereitzustellen. Der gemeinsame Baustein aller Gewebe, die für die mechanische Funktion sorgen, sind Kollagene, die etwa 25% der gesamten Proteinmasse im menschlichen Körper ausmachen. Kollagene bauen sich in self-assembly-Prozessen zu Kollagenfibrillen zusammen, bei denen es sich um nanoskalige Fasern handelt, die quasi als die Seile betrachtet werden können, in denen die Zellen „hängen“.

Daher kann angenommen werden, daß die Mechanik der Kollagenfibrillen großen Einfluss auf das Zellverhalten, d.h. Phänotyp und Proteinexpression, haben. Außerdem haben Zellen die Fähigkeit, die Mechanik ihrer kollagenreichen Umgebung zu verändern. Es ist jedoch weitgehend unbekannt wie Zellen die Kollagenfibrillenmechanik durch posttranslationale Modifikationen sowie die Expression von Enzymen abstimmen können, die die Tropokollagenmoleküle, aus denen die Kollagenfibrillen bestehen, vernetzen können.

Aus diesem Grund konzentriert sich unsere Forschung in diesem Bereich genau auf diese Fragestellung, d.h. wie die Kollagenfibrillenmechanik  eingestellt werden kann und wie effektiv unterschiedliche Abstimmungsparameter sich auswirken. Dies erfordert die Fähigkeit Kollektive von Kollagenfibrillen (wie Biopsien) sowie einzelne Kollagenfibrillen mechanisch zu charakterisieren. Als Methode wird hier vorwiegend die Rasterkraftmikroskopie eingesetzt, sowie selbst entwickelte Instrumente zur Manipulation und mechanischen Prüfung einzelner Kollagenfibrillen.

Rasterkraftmikroskopie Mechanische Charakterisierung im Mikro- und Nanobereich

Kollagene bauen sich selbst zu Kollagenfibrillen zusammen, diese haben durch ihre Mechanikeigenschaften großen Einfluss auf das Zellverhalten.