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04. Oktober 2022
Marko Mihovilovic: „Chemie ist nicht das, wo es stinkt und raucht und explodiert“
Der TU-Wien-Chemiker Marko Mihovilovic will grünes Denken breiter in seinem Fach verankern. Schon bei der Entwicklung neuer Materialien gelte es, spätere Kollateraleffekte stärker mitzudenken, fordert er. Darauf zielt auch ein neuer, von ihm mitinitiierter Masterstudiengang ab.

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mit Cornelia GrobnerDie Presse

Die Presse: Im Kontext von Nachhaltigkeit denkt man bei Chemie eher an Problemverursacherin als Problemlöserin. Ein reines Imageproblem?

Marko Mihovilovic: Das hoffe ich (lacht). Es ist ein Klischee, mit dem wir leider schon lang leben. Ich erinnere mich gut an das Werbesujet einer Bank, als ich 1988 mit dem Studium begonnen habe: Es zeigte einen Chemiker mit Schmauchspuren im Gesicht. Auch heute hat die Chemie in der breiten Öffentlichkeit noch immer dieses Image. Ein Ziel der neuen Bildungsoffensive Green Chemistry ist es, deutlicher herauszustreichen, welchen Beitrag zur Nachhaltigkeit die Chemie schon geliefert hat und welche Bedeutung sie für zukünftige Lösungen hat. Chemie ist nicht das, wo es stinkt und raucht und explodiert.

Gleichzeitig gibt es sie ja, die umweltbelastenden Prozesse und Produkte. Was muss sich künftig ändern?

Wir denken noch sehr stark in kleinen Kasterln – ich bezeichne das als Schrebergarten-Denken. Da beginne ich durchaus auch bei uns an den Unis. Wir brauchen Fachexpertentum, das einen klaren Blick über den Tellerrand hat. Es muss mehr darum gehen, welche Kollateraleffekte chemische Prozesse haben.

Da spielt die Lebenszyklusanalyse eine ganz große Rolle. Das ist eine Herangehensweise, die im Fach erst langsam zu greifen beginnt. Wir müssen bereits im Design von neuen chemischen Materialien versuchen, die Rezyklierbarkeit mitzudenken und den Wertverlust der Stoffe zu reduzieren.

Was macht Chemie zur grünen Chemie?

Grüne Chemie ist kein Rosinenpicken. Ein Produkt, ein Prozess ist erst dann „grün“, wenn die zwölf Grundprinzipien nach Paul Anastas und John Warner – von Energieeffizienz über den Einsatz erneuerbarer Ressourcen und sicherer Stoffe bis hin zur Echtzeitüberwachung der Abfallvorsorge – möglichst vollständig erfüllt werden. In Europa sind wir zum Beispiel im Plastik-Recycling sehr gut. Aber es werden viele verschiedene Kunststoffe in einen Topf geworfen, und mit einem vernünftigen technologischen Aufwand lässt sich nur ein minderwertigeres Nachfolgeprodukt herstellen. Das heißt, wir spiralisieren uns in der Leistungsfähigkeit des Materials nach unten.

Welche Stoffe sind hinsichtlich Ihrer Wiederverwertung besonders problematisch?

Die aktuellen Akkumaterialien zum Beispiel. Diese kann man mit einem vernünftigen ökonomischen Aufwand kaum so rezyklieren, dass sich danach ein Produkt mit vergleichbarem Technologie-Entwicklungsgrad bauen lässt. Das ist nicht möglich. Hier braucht es smartere Designs.

Also mehr austauschbare Teile und eine dadurch verlängerte Haltbarkeit?

In diese Richtung geht das, genau. Aber wenn ich mir anschaue, was in den letzten zehn Jahren passiert ist – bleiben wir bei den Akkus –, dann ist es schwierig, das zu planen. Es gibt ganz, ganz viele Ansätze, und es muss sich in einem Konkurrenzkampf herausstellen, welche Technologie, die jetzt noch in einem Labormaßstab entwickelt wird, wirklich die ist, die breitentauglich ist. Ein Beispiel dafür ist auch die Speicherung von Wasserstoff. Wir sollten weniger direktiv denken und der Forschung mehr Spielraum bieten. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass wir auf unterschiedlichen Zeitskalen unterschiedliche Lösungen suchen. Es wird keinen Endpunkt in der Entwicklung geben, denn ständig neue Herausforderungen erfordern ständig neue Anpassungen. Wir haben ein paar akute Probleme, die wir beheben müssen. Da ist es wichtig, Übergangslösungen zu etablieren. Aber diese werden nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Wo braucht es Übergangslösungen?

Wir laufen etwa mit den Windrädern in ein großes Problem. Da stecken die aufwendigsten Materialien drinnen. Die in zwanzig Jahren zu rezyklieren, wird spannend. Genau solche Dinge müssen künftig schon in der Entwicklung neuer Materialien mitgedacht werden. Für entsprechend ausgebildete Expertinnen und Experten in Österreich wollen wir auch durch den neuen Masterstudiengang Green Chemistry sorgen.

Zur Person

Marko Mihovilovic (52) ist Dekan der Fakultät für Technische Chemie der TU Wien. Er ist Mitinitiator der Bildungsoffensive Green Chemistry, deren Herzstück ein im Oktober startender Masterstudiengang ist – eine Kooperation von TU, Boku und Uni Wien. Ziel ist die Ausbildung von Expertinnen und Experten mit Fachwissen in grüner Chemie. Sie sollen Entwicklungen des Technologiewandels von der Grundlagenforschung bis zur industriellen Anwendung begleiten können.

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