Mitwirkung an staatlichen Planungsprozessen
Dissertationsvorhaben von Sabine Reissner
Die Arbeit betrachtet unter dem Begriff der Mitwirkung direkt-demokratische Elemente und verschiedene Formen der Partizipation der Bevölkerung an staatlichen Planungsprozessen. Wesentliche Mitwirkungsmechanismen sind:
- Direkt-demokratische Instrumente als Ergänzung des repräsentativ-demokratischen Systems, welche als unselbstständige Akte immer an das parlamentarische Verfahren gekoppelt sind („semi-direkte Demokratie“).
- Parteienrechte, die gesetzlich für Verwaltungsverfahren aufgrund eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses aus rechtsstaatlichen Gründen vorgesehen sind.
- Beteiligungsrechte, wie etwa Kontroll-, Anhörungs- oder Stellungnahmemöglichkeiten.
- Gesetzlich nicht vorgeschriebene, informelle Beteiligungsmechanismen an Entscheidungsfindungsprozessen der Verwaltung.
Mit staatlichen Planungsprozessen sind Verfahren zur Herstellung von staatlichen Plänen gemeint, die menschliches Verhalten und damit die Entwicklungen bestimmter Bereiche steuern. Dies sind z.B. Raumpläne zur Gestaltung und Entwicklung des Staatsgebietes, Infrastrukturpläne zur Ausstattung und Errichtung von Anlagen, Umweltpläne zum Schutz der Umwelt oder Finanzpläne zur quantitativen Erhebung der für all diese Planungen notwendigen Mittel.
Planungen eröffnen der Verwaltung einen weiten Ermessensspielraum, weshalb die Mitwirkung als Möglichkeit der Legitimation dieses Ermessens diskutiert wird. Die Mitwirkung an staatlichen Planungen bedeutet Einfluss auf nachfolgende staatliche Entscheidungen zu einem frühen Zeitpunkt. Ein solcher Einfluss der Öffentlichkeit ist Gegenstand von Demokratie- und Governancedebatten, die aktuell insbesondere in Hinblick auf die anstehenden konfliktträchtigen staatlichen Entscheidungen im Zuge der Energie- und Verkehrswende geführt werden. Diskutiert wird dabei u.a., ob die Beteiligung der Öffentlichkeit an staatlichen Entscheidungen zu besseren Ergebnissen und mehr Akzeptanz führt, und ob die Bevölkerung durch plebiszitäre Instrumente verbindliche Rechtsakte erlassen können sollte, um eine schnellere politische Reaktion auf Herausforderungen zu erzwingen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt in dieser Debatte ist die Legitimation der staatlichen Entscheidungsfindung und der Rechtssetzung in der repräsentativen Demokratie. Diese übergeordnete Legitimationsfrage soll anhand folgender Themenkomplexe betrachtet werden:
Erlässt die Verwaltung Pläne, bedient sie sich in der Regel der Verordnungsform und braucht dafür gemäß dem Legalitätsprinzip eine gesetzliche Grundlage. Aus dem Legalitätsprinzip leitet der Verfassungsgerichtshof (VfGH) ab, dass der Gesetzgeber die Gesetze hinreichend zu bestimmen hat, wobei nach der Judikatur zum „differenzierten Legalitätsprinzip“ der notwendige Grad der Bestimmtheit je nach Regelungsgehalt variiert. Pläne lassen sich nach Ansicht des VfGH und der herrschenden Lehre insbesondere durch Ziele und einen Katalog an Mitteln zur Zielerreichung vorherbestimmen. Die Folge ist ein besonders weites Planungsermessen der ausnahmsweise nur „final determinierten“ Verwaltung: Diese wägt die Ziele ab und entscheidet über die Wahl der Mittel sowie die Auflösung von Zielkonflikten. Wesentlich ist dabei, dass die Verwaltung rechtmäßig handelt, auf eine bestmögliche Lösungsfindung kommt es dagegen rechtlich nicht an. Der weite Ermessensspielraum der Verwaltung im Planungsrecht muss durch strenge Verfahrensregelungen, zu denen auch Beteiligungsrechte gehören, ausgeglichen werden („Legitimation durch Verfahren“). In welchem Ausmaß diese zu gewähren sind, um dem Anspruch der Legitimation von Verwaltungsentscheidungen zu genügen, ist unklar. Angesichts offenkundiger Fehlentwicklungen etwa in den Bereichen der Raum- und Umweltplanung ist der weite Ermessensspielraum der Verwaltung zu hinterfragen. Die These der „Legitimation durch Verfahren“, insbesondere durch Öffentlichkeitsbeteiligung, ist zu überprüfen.
Die Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme hat mit der Strategischen Umweltprüfung (SUP) ein spezielles Instrument zur Beteiligung der Öffentlichkeit sowie von Expert_innen an bestimmten Planungsprozessen geschaffen. Im Unterschied zu bescheidmäßigen Verwaltungsverfahren, in denen Betroffenen die rechtsstaatliche Parteistellung zum Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte zukommt, sieht das SUP-Verfahren in der österreichischen Umsetzung nur einfachgesetzliche Stellungnahmerechte vor. Diese sind von Entscheidungsträger_innen lediglich zu berücksichtigen und weisen daher ein Defizit im Gegensatz zu Einwendungen von Parteien auf. Problematisch erscheint dies in Hinblick auf teilweise heftigen öffentlichen Widerstand gegen Infrastrukturprojekte in den Genehmigungsverfahren, die den Planungsprozessen nachfolgen. Wird der Konflikt über Infrastrukturprojekte erst in diesen ausgetragen, ist dies einerseits in Hinblick auf mögliche lange Verfahrensdauern für Projektentwickler_innen nachteilig, andererseits läuft die Funktion der Akzeptanzbeschaffung ins Leere. Eine Stärkung der Beteiligungsrechte an Planungen im Sinne einer Annäherung an die Parteistellung ist daher zu prüfen. In Hinblick auf die Legitimation steht hierbei das Spannungsverhältnis von Öffentlichkeitsbeteiligung und Expert_innenbeteiligung im Vordergrund: Sind beide, wie bei der SUP, am Planungsprozess beteiligt, stellt sich die Frage welchen Grad an Einfluss die Öffentlichkeit einerseits, die Expert*innen andererseits haben. Dieses Verhältnis ist in Hinblick auf die verfassungsrechtliche Legitimation von staatlichen Entscheidungen unter den Besonderheiten der final determinierten Verwaltung im Planungsrecht zu untersuchen.
Die Verfassung erlaubt es dem Landesgesetzgeber mit Art 117 Abs 8 B-VG ausnahmsweise die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung an der Verwaltung zu normieren und zwar für die zum Gemeinderat Wahlberechtigten. Die Landesgesetzgeber haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und in unterschiedlicher Weise direkt-demokratische Instrumente auf Gemeindeebene vorgesehen. Da die Gemeinden keine Gesetze erlassen, handelt es sich dabei um direkt-demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten an Verwaltungsentscheidungen. Der VfGH entschied in einem rezenten Erkenntnis, dass eine Volksabstimmung den Gemeinderat nicht gegen dessen Willen zur Erlassung oder Unterlassung von Rechtsakten verpflichten kann, da auch die Gemeindeselbstverwaltung repräsentativ-demokratisch ausgestaltet ist. Entgegen der Ansicht des VfGH wird in der Literatur teilweise die Meinung vertreten, dass der Verfassungsgesetzgeber echte direkt-demokratische Instrumente für die Gemeindeselbstverwaltung vorsehen kann. Gerade im final determinierten Planungsrecht, in dem die Verwaltung nicht durch strenge Gesetzesbindung legitimiert ist, ist diese Möglichkeit auszuloten. Rechtsvergleichend wird dabei die deutsche Rechtslage herangezogen, wo echte direkt-demokratische Abstimmungen auf kommunaler Ebene möglich sind. Die Länder sehen dort unterschiedlich Bürger_innenbegehren und Bürger_innenentscheide für die Gemeinden vor, die unter gewissen Voraussetzungen in einer die Willensbildung der Gemeinde ersetzenden Volkabstimmung münden können. In Hinblick auf die Chancen und Gefahren, die mit Sachplebisziten verbunden sind, sind gesetzliche Themenbeschränkungen auszuloten.
Ansprechperson
Univ.Ass. Mag.iur.
Sabine Reissner